Das Leuchten in der Ferne: Roman (German Edition)

saßen, dass sie sich berührten, anlächelten. Forsch trugen zwei junge Mädchen auf ihren Tabletts Fruchtsäfte und Schalen mit Müsli an ihm vorbei, die Blicke der Männer genießend, die sich an der Schönheit der beiden erfreuten. Die Mädchen setzten sich an einen Tisch in Martens’ Nähe, ihre seidenen, dunklen Haare, der breite Mund mit den blitzenden Zähnen, die frischen, glänzenden Augen. In all den Monaten bei Dilawar und seinen Leuten hatte Martens außer Malalai nur eine einzige Frau gesehen, und sie war gesteinigt worden. Ein Stein, der ihre Schläfe traf, machte ein schreckliches Geräusch. Die Frau kippte im Erdloch vornüber, ihre Finger kratzten Furchen in die Erde. Die Luft war voller Steine, sie prasselten auf den Rücken der Frau, prallten von der Wirbelsäule ab, den Rippen, und hüpften zwei-, dreimal über den Boden, bevor sie endlich still lagen.
    Wem hätte Martens das hier, im inneren Kreis, erzählen sollen? Es wäre zur Schauergeschichte verkommen, Barbarei in einem fernen, unterentwickelten Land. Die Menschen, die hier aßen und tranken, hätten es ihm übel genommen, dass er sie mit dieser Geschichte behelligte, sie hätten es empfunden, als habe er sich hinter der Kuchenvitrine versteckt, und als sie den Teller mit dem Stück Schwarzwälder Torte aus der Vitrine nehmen, springt er mit einem lauten Hah! hoch und erschreckt sie so sehr, dass sie den Teller fallen lassen.
    Aber er konnte es spüren. Es war wie eine Vibration in der Luft. Er spürte es jetzt, da er endlich bereit war, sich im inneren Kreis niederzulassen. In diesem in sich geschlossenen Kreis, in dem nicht der Aufbruch, sondern das Bleiben Glück verhieß, nicht die rastlose Suche, sondern die verantwortungsvolle Verwaltung des Gefundenen, nicht der Horizont, sondern der Blick in die Augen derer, die man liebte – letztendlich die Liebe. Jetzt, da er in den inneren Kreis aufgenommen werden wollte, spürte er die Bedrohung. Er spürte sie, weil er ein Teil dieser Bedrohung gewesen war. Er hatte lange zum äußeren Kreis gehört, und seine Zugehörigkeit hatte ihn in die Berge Badakhshans geführt, zu Dilawar und Omar, die im äußeren Kreis patrouillierten. Dieser äußere Kreis mochte weit entfernt vom inneren Kreis sein, so entfernt, dass die Menschen im inneren Kreis sich seiner Existenz nicht mehr bewusst waren. Aber es gab ihn. Er umschloss den inneren Kreis, und er versuchte, zu ihm vorzudringen.
    ENDE

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Für Regina, Beda, Emilia und Matilda.
    Und für Fabia.

Das Buch
    Ein abenteuerlicher Roman über einen Kriegsreporter, eine Liebe unter extremen Bedingungen und über die Sucht nach der Gefahr
    Moritz Martens, einst gefragter Kriegsreporter, bekommt seit Monaten keine Aufträge mehr. Er ist müde geworden, sein Konto ist fast leer, seine Ehe ist schon vor Jahren gescheitert und seine Affären machen ihn nur noch einsamer.
    Da weht der Zufall eine Frau in Martens‘ Leben: Die faszinierend fremdländisch wirkende Miriam Khalili. Ihr Vater war einst aus Afghanistan geflohen, sie selbst ist in Berlin aufgewachsen. Miriam erzählt Martens eine unglaubliche Geschichte: Sie kennt eine junge Afghanin, die als Junge verkleidet seit Monaten mit einer Talibangruppe durch die Berge zieht. Der Anführer der Gruppe ist weit über die Grenzen des Landes hinaus für seine Brutalität und seinen Frauenhass berüchtigt. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das Mädchen enttarnt wird. Um sich zu retten sei es bereit, für zehntausend Dollar ein Interview zu geben. Mirjam könne über einen Kontaktmann ein Treffen an einem geheimen Ort arrangieren.
    Doch schon in der Transall nach Feyzabad beginnt Martens an der Echtheit der Geschichte zu zweifeln. Ganz offensichtlich war Miriam noch nie zuvor in Afghanistan und sie verwickelt sich auch sonst immer mehr in Widersprüche. Doch Martens liebt das Unvorhersehbare und lässt sich trotzdem auf das Abenteuer ein.
    Er kann nicht ahnen, wie sehr das, was ihn in Afghanistan erwartet, die Grundfesten seines Lebens erschüttern wird.

Der Autor
    Linus Reichlin, geboren 1957, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Sein in mehrere Sprachen übersetzter erster Roman Die Sehnsucht der Atome stand monatelang auf der Krimi-Welt-Bestenliste und wurde mit dem Deutschen Krimipreis 2009 ausgezeichnet, sowie für den Friedrich-Glauser-Preis als bester Debütroman nominiert. 2010 erschien sein zweiter Roman, der zum „Wissenschaftsbuch des Jahres 2010 (Sparte