Das Licht der Flüsse
Handlungen dieses Burschen und der kleine Prolog, mit dem der Schausteller eine komische Lobrede auf seine Truppe hielt,
auf ihre Gleichgültigkeit gegenüber Beifall und Pfiffen, und ihre einzigartige Hingabe an ihre Kunst pries, waren die wenigen
Momente der ganzen Veranstaltung, von denen man sich vorstellen konnte, dass sie jemandem immerhin ein Lächeln abringen würden.
Doch die Dörfler von Précy schienen entzückt. Solange etwas als Schau angeboten wird und man bezahlt, um es sich anzusehen,
wird es unweigerlich ein Amüsement. Wenn wir pro Kopf sound so viel für Sonnenuntergänge zahlen müssten oder wenn Gott den Hut herumgehen ließe, bevor der Weißdorn blüht – welch
ein Spektakel würden wir dann um ihre Schönheit machen! Doch diese Dinge, ebenso wie gute Gefährten, werden von dummen Leuten
bald nicht mehr wahrgenommen: Und der geistesabwesende Handelsreisende trabt in seinem gefederten Zweispänner vorbei und ist
sich der Blumen am Wegesrand oder der Wolkenlandschaft über ihm gewiss nicht bewusst.
Zurück in die Welt
Von den nächsten beiden Tagen unserer Flussfahrt ist mir kaum etwas im Gedächtnis geblieben, und in meinem Notizbuch findet
sich kein einziger Eintrag. Der Fluss strömte gleichmäßig durch freundliche Uferlandschaften. Wäscherinnen in blauen Kleidern,
Fischer in blauen Hemden sprenkelten die grünen Ufer, und die beiden Farben verhielten sich zueinander wie Blüte und Blatt
des Vergissmeinnichts. Eine Symphonie in Vergissmeinnicht – ich glaube, Théophile Gautier hätte das Panorama jener beiden
Tage auf diese Weise charakterisiert. Der Himmel war blau und wolkenlos, die dahingleitende Oberfläche des Flusses hielt an
ruhigen Stellen dem Himmel und den Ufern einen Spiegel vor. Die Wäscherinnen grüßten uns lachend, der Klang der Bäume und
des Wassers begleitete unsere schlummernden Gedanken, während wir flussabwärts trieben.
Die enormen Wassermassen, die unermüdliche Zielstrebigkeit des Flusses hielten die Gedanken in Bann. Nunschien er sich seines Ziels so sicher zu sein, so stark und unbeschwert in seinem Lauf wie ein erwachsener Mann mit eisernem
Willen. Die Brandung an den Stränden Le Havres rief ihn grollend herbei.
Ich meinerseits, der ich in meinem Geigenkasten von einem Kanu über diese fließende Wasserstraße rutschte, begann mich allmählich
gleichfalls nach meinem Ozean zu sehnen. Den zivilisierten Menschen überkommt früher oder später zwangsläufig eine Sehnsucht
nach der Zivilisation. Ich hatte genug davon, mein Paddel einzutauchen; ich hatte genug davon, an den Randgebieten des Lebens
zu leben; ich wollte erneut mittendrin sein; ich wollte mich an die Arbeit machen; ich wollte Leute treffen, die meine eigene
Sprache verstanden und mir von Gleich zu Gleich gegenübertraten, als Mann und nicht länger als Kuriosität.
Und so gab ein Brief in Pontoise den Ausschlag, und wir zogen unsere Kiele ein letztes Mal aus der Oise, jenem Fluss, der
sie so treu und so ausdauernd durch Regen und Sonnenschein gelotst hatte. So viele Meilen weit hatte dieses flinke und fußlose
Lasttier triumphwagengleich unsere Schätze getragen, dass wir ihm mit einem Gefühl von Abschied den Rücken kehrten. Wir hatten
einen langen Abstecher aus der Welt unternommen, doch nun waren wir wieder an vertrauten Orten, wo das Leben selbst alles
im Fluss hält und wir ohne einen Ruderschlag zu Abenteuern getragen werden. Nun mussten wir heimfahren wie der Reisende in
dem Theaterstück und sehen, welche Neuerungen das Schicksal mittlerweile in unserer Nachbarschaft vollendet hatte, welche
Überraschungen zu Hause bereits auf uns warteten und wohin und wie weit sich die Welt in unsererAbwesenheit gedreht hatte. Man kann den ganzen Tag paddeln, doch wenn man bei Einbruch der Nacht zurückkehrt und in das vertraute
Zimmer blickt, merkt man, dass Liebe oder Tod neben dem häuslichen Herdfeuer warten und die schönsten Abenteuer nicht die
sind, nach denen wir suchen.
Anhang
Stevenson mit seinem Stiefsohn Lloyd, seiner Frau Fanny, Stieftochter Belle und Mutter Margaret auf den Sandwich-Inseln (v.
l.)
Nach der Paddeltour durch Belgien und Frankreich lernte Robert Louis Stevenson im Herbst 1876 in der Künstlerkolonie Grez-sur-Loing
Fanny Vandegrift (1840–1914) kennen. Sie stammte aus Indianapolis. Mit siebzehn hatte sie den Bürgerkriegsveteranen Sam Osbourne
geheiratet, der vergeblich sein Glück in den Gold- und Silberminen
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