Das Licht der Flüsse
wurde. Am nächsten Abend ging ein Platzregen nieder, gleich nachdem sie die Lampen angezündet hatten, und sie mussten
so schnell wie möglich ihre Sachen zusammenpacken und kalt, nass und ohne Mahlzeit zu der Scheune rennen, wo sie ihre Unterkunft
hatten. Am nächsten Morgen machte ein lieber Freund von mir, der so wie ich ein großes Herz für Wanderschauspieler hat, eine
kleine Kollekte und ließ ihnen das Geld über mich als Trost für ihre Enttäuschung zukommen. Ich gab es dem Vater. Er dankte
mir herzlich, und wir tranken zusammen eine Tasse in der Küche und sprachen über Straßen, das Publikum und harte Zeiten.
Als ich gehen wollte, erhob sich mein alter Vagabund und nahm seinen Hut ab. »Ich fürchte«, sagte er, »Monsieur halten mich
für einen Bettler, aber ich habe noch eine weitere Bitte an Sie.« Sogleich begann ich ihn zu hassen. »Wir haben heute Abend
noch einen Auftritt«, fuhr er fort. »Natürlich werde ich mich weigern, noch mehr Geld von Monsieur und seinen Freunden zu
nehmen, die schon so freigebig gewesen sind. Aber unser Programm ist heute Abend etwas ganz Besonderes, und ich hege die Hoffnung,
dass Monsieur uns mit seiner Anwesenheit beehrt.« Und dann mit einemSchulterzucken und einem Lächeln: »Monsieur verstehen – die Eitelkeit eines Künstlers!« Hört, hört! Die Eitelkeit eines Künstlers!
Das ist eines der Dinge, die mich mit dem Leben versöhnen: ein zerlumpter, besoffener, unfähiger alter Halunke mit den Umgangsformen
eines Gentlemans und der Eitelkeit eines Künstlers, um sein Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten!
Ein Mann ganz nach meinem Herzen ist Monsieur de Vauversin. Es ist fast zwei Jahre her, seit ich ihn das erste Mal traf, und
ich hoffe, ihn noch oft wiederzusehen. Hier ist sein erstes Programm, das ich auf dem Frühstückstisch vorfand und seither
als Andenken an schöne Tage aufbewahre:
Mesdames et Messieurs,
Mademoiselle Ferrario et M. de Vauversin auront l’honneur de chanter ce soir les morceaux suivants.
Mademoiselle Ferrario chantera – Mignon – Oiseaux Légers – France – Des Français dorment là – Le château bleu – Où voulez-vous
aller?
M. de Vauversin – Madame Fontaine et M. Robinet – Les plongeurs à cheval – Le Mari mécontent – Tais-toi, gamin – Mon voisin
l’original – Heureux comme ça – Comme on est trompé.
An einem Ende der
salle à manger
errichteten sie eine Bühne. Und welch ein herrlicher Anblick war Monsieur de Vauversin, mit einer Zigarette im Mund, wie er
an seiner Gitarre zupfte und Mademoiselle Ferrarios Augen mit dem gehorsamen, treuherzigen Blick eines Hundes folgte! Die
Veranstaltung endete mit einer Tombola oder Versteigerungvon Lotterielosen: ein bewundernswerter Spaß mit all der Aufregung eines Glücksspiels und ohne Hoffnung auf einen Gewinn,
durch den man sich seiner Begeisterung geschämt hätte, denn hier ist alles Verlust. Man beeilt sich, sein Geld loszuwerden;
es ist ein Wettstreit darum, wer das meiste Geld zum Wohle von Monsieur de Vauversin und Mademoiselle Ferrario ausgibt.
Monsieur de Vauversin ist ein kleiner Mann mit großem Kopf und schwarzem Haar, lebhaftem und einnehmendem Wesen und einem
Lächeln, das entzückend wäre, wenn er bessere Zähne hätte. Früher war er Schauspieler im Châtelet, doch von der Hitze und
dem Schein der Bühnenbeleuchtung bekam er ein Nervenleiden, das ihn für das Theater untauglich machte. Nach dieser Krise willigte
Mademoiselle Ferrario alias Mademoiselle Rita vom Alcazar ein, das Los eines Wanderers mit ihm zu teilen. »Ich könnte nie
die Großzügigkeit dieser Dame vergessen«, sagte er. Er trägt so enge Hosen, dass sich jeder, der ihn kennt, seit langem wundert,
wie er sie an- und auszieht. Er malt gelegentlich Aquarelle, er schreibt Gedichte, er ist der geduldigste aller Angler und
verbrachte lange Tage damit, am unteren Ende des Gasthofgartens vergeblich eine Angelschnur in den klaren Fluss zu halten.
Sie sollten ihn hören, wenn er bei einer Flasche Wein von seinen Erlebnissen erzählt, denn seine Art zu reden ist überaus
angenehm. Stets ist er bereit, über seine eigenen Missgeschicke zu lächeln, und immer wieder zeigt er einen unvermittelten
Ernst, wie ein Mann, der das Grollen der Brandung im Ohr hat, wenn er von den Gefahren der Tiefe spricht. Denn es war nicht
länger her als vielleicht letzteNacht, dass die Einkünfte nicht mehr als eineinhalb Francs betrugen, mit denen
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