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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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war Phelps nicht der Mörder seiner Mutter. Die Wucht der Schläge schienen auch nicht zu dem eher schwächlichen Mann zu passen. Doch Abraham wusste, dass sowohl Hass als auch Liebe ungeahnte Kräfte in den Herzen der Menschen freizusetzen vermochten. Dann war alles möglich. Abraham sagte: »Sucht in der Wohnung nach weiteren Spuren, sucht noch mal genau. Vielleicht war noch jemand zum Zeitpunkt des Mordes dort. Laut dem Nachbarn hat sich Beenhakker in der Trinkerszene rumgetrieben, zeigt ihr Bild, fragt nach, möglicherweise kannten einige sie näher.«
    »Bin schon dabei«, sagte Kleber. »Was ist mit Lydia Beenhakkers Psychiatrie-Aufenthalt?«
    »Ich frage Levy. Der kennt wirklich jeden Weißkittel in Berlin.«
    Den Rechtsmediziner rief Abraham sofort an und schilderte die Ereignisse und brachte seine Bitte vor.
    »Du verlangst von mir, dass ich den zuständigen Kollegen das Patientengeheimnis abluchse?«
    »Genau das.«
    »Wieso fragst du Lydia Beenhakker nicht selbst?«
    »Sie würde es mir nicht sagen.«
    »Ich mache mich nicht gerade beliebt.«
    »Dann weißt du ja, wie ein Bulle sich in dieser Stadt fühlt.«
    »Ärzte sind auch dazu da, ihre Patienten zu schützen, Frank.«
    »Das ist mir schon klar, aber hier geht es um einen besonders scheußlichen Mord, und ich muss mehr über die darin verwickelten Personen wissen.«
    »Na schön. Ich kenne tatsächlich jemanden dort … dafür verlange ich aber ein Mittagessen.«
    »Ich bringe momentan keine gute Laune mit, Ben, und ich will Sarah nicht den Tag versauen.«
    »Gut, dann treffen wir uns in einem Restaurant meiner Wahl, damit du mal wieder unter Menschen kommst, die weder vorbestraft noch tot sind. Und du übernimmst die Rechnung.«
    Lachend fügte Levy hinzu: »Das hat dann etwas Konspiratives an sich. Als würdest du einen Spitzel mit, sagen wir, einem orientalischen Zitronenhühnchen auszahlen.«
    »Ja, warum nicht«, sagte Abraham. »Einer muss schließlich immer zahlen.«

KAPITEL
SIEBZEHN
    Sie fuhren bei Nacht, und sie fuhren alleine.
    Polly konnte sich an keinen solch kalten Winter erinnern. Sie wurde die Kälte einfach nicht los. Sie lag auf dem Rücksitz eines uralten Renaults aus den frühen 90ern und versank in dem viel zu großen, breiten Mantel, den Mevissen aufgetrieben hatte. Sie sah darin aus wie das Michelin-Männchen ihrer Kindheit, aber zumindest bot er ihr ein wenig Wärme. Die Heizung im Wagen war defekt, die Bremsen ein Lotteriespiel, die Reifen abgefahren und die Scheibenwischer entschieden selber, wann sie bereit waren, die Scheiben vom Eisregen zu befreien. Jeder halbwegs ausgeschlafene Bulle würde sie aus dem Verkehr ziehen.
    Aber dieses Wrack von einem Auto war ihre beste und einzige Chance, so schnell wie möglich nach Berlin zu kommen. Mevissen hatte ihn besorgt, und Polly hatte den Preis dafür gezahlt. Und genau das war der Grund, warum Mevissen weinte undimmer wieder sagte, wie leid es ihm täte, und ja, Polly wollte ihm glauben, weil Mevissen der einzige Mensch war, der sie nicht anlog.
    Es ist gut, wollte sie sagen, so als müsse sie ihn über das Schreckliche, das ihr geschehen war, hinwegtrösten. So sehr liebt er mich, dachte sie, dass er sich für meinen Schmerz verantwortlich fühlt. Aber natürlich konnte Mevissen nichts für das, was ihr zugestoßen war. Sie haben seine Abwesenheit ausgenutzt, wusste Polly. Sie hatten ihn reingelegt und weggelockt, und dann waren sie zu Polly gekommen. Ein halbes Dutzend Fremder in einem kleinen, stinkenden Raum. Schweiß, Urin, eine schwielige Hand, die ihr den Mund verschloss. Der Atem der Männer auf ihrem Gesicht, in ihrem Mund, zwischen ihren Beinen. Die Erinnerung daran rammte sich erneut wie ein Messer zwischen ihre Schenkel. Nun, zumindest blutete sie dort nicht mehr.
    »Wir kommen wieder auf die Beine«, sagte Mevissen jetzt, »ich versprech’s dir, es wird besser, wenn wir in Berlin sind.«
    Polly schloss die Augen. Berlin, dachte sie. Sie fürchtete sich vor dieser großen, gefräßigen Metropole. Außerdem war sie müde und erschöpft, verletzt und gedemütigt. Amsterdam hatte ihre letzten Kraftreserven aufgebraucht, und alleine der Gedanke daran setzte ihr erbarmungslos zu.
    Leg dich hin, wisperte die Erschöpfung. Die Erschöpfung war ein Dämon, ein schwarzer Hund, der den Obdachlosen und Säufern, den Verzweifelten und Mutlosen durch ihre jeweilige Nacht folgte, um sie dazu zu bringen, aufzugeben. Ein zahnloser Mund öffnete sich, tausend Jahre alt, und mit einem

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