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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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Ein Erfolgsmensch, gutaussehend, ein blendender Typ, im wahrsten Sinne. Er war mit Männern seines Schlages unterwegs, nachrückende, sich nach oben durchbeißende Mittelschicht, sie kauften in dem Supermarkt, in dem sie arbeitete, für einen ihrer Männerabende ein. Holger war der Mittelpunkt dieser Rotte, an ihn wurden die meisten Fragen gestellt, ihm bereitwillig zugehört. Er hatte etwas Anmaßendes an sich, eine Arroganz, die aus seiner Fähigkeit rührte, zu bestimmen und zu führen. Er war ein Macher.
    An diesem Abend streifte sein Blick nur kurz über Polly, er hätte genauso gut auch eine Flasche Glasreiniger oder eineSchachtel Kekse ansehen können, nichts in seinem Gesicht verriet sein späteres Interesse.
    Er legte sie wahrscheinlich in dem Fach: »mausgrau, unscheinbar« ab. So dachte sie jedenfalls und das war okay, sie war eben keine Frau, der man einen zweiten Blick zuwarf, wenn der erste schon nicht verfing.
    Tatsächlich aber hatte er sie sehr wohl wahrgenommen, schon als er den Laden betrat und sie an der Kasse sitzen sah, mit ihrem müden, verlorenen Alltagsgesicht und ihren glanzlosen Augen, in denen sich Kummer und Verzweiflung schon lange eingerichtet hatten.
    Der Wolf in ihm nahm Witterung auf.
    Zwei Abende später stand er für sie unerwartet (denn bis auf dieses erste Mal hatte sie ihn noch nie hier einkaufen sehen) wieder vor ihrer Kasse. Das Band ihrer Kollegin war leer, und Polly hatte genug zu tun, dennoch stellte sich Holger in die Schlange, bis er an der Reihe war. Und diesmal nahm er sie wahr, sehr sogar, und ja, er war verdammt charmant und selbstsicher, er zwinkerte ihr zu und grinste auf eine unverschämte Art und Weise, die die allermeisten Frauen anziehend finden und nur einige wenige abstoßend, weil sie aus Erfahrung mit solchen Typen wissen, was sich wirklich hinter dem teuren Anzug verbirgt. Aber zu diesen Frauen gehörte sie damals noch nicht. Vielleicht hätte sie den Wolf erkannt, wenn sie ihm beim ersten Mal nur tief genug in die Augen gesehen hätte … aber wie seine Opfer zuvor blendete sie der falsche Glanz, mit dem der Wolf sich tarnte. Und war es nicht auch ihre eigene Entscheidung? Als hätte sie bewusst irgendetwas entschieden … sie bestimmte schon lange nicht mehr über sich selbst. Erneut hatte sie keinerlei Begründung dafür, warum sie sich so treiben ließ, dass jeder Windstoß ihr Leben umkrempelte.
    Holger trug wie alle anderen auch eine soziale Maske, und wie die meisten legte er diese Maske von Zeit zu Zeit ab, umganz er selbst zu sein. Ganz er selbst zu sein bedeutete für sie, Teil seiner sadistischen Welt zu werden.
    Wohin und zu wem hätte sie gehen können? Es gab keine Sicherheit, nicht wahr? Niemand war sicher. Dir konnten während eines einzigen Blinzelns die schrecklichsten Dinge geschehen. Du konntest verwundet werden bis auf den Grund der Seele. Oder einfach verschwinden.
    Holger war weder wahnsinnig noch unberechenbar. Er war höchst berechenbar. Er war ein Kontrollfreak, er war die erste und letzte Instanz. Seine sadistischen Neigungen waren über die Jahre gewachsen wie einer dieser Joshua-Bäume in der Wüste, die mit wenig Wasser auskommen, die hart und erstarrt und ewig sind. Er hatte, wie er ihr einmal erzählte (sie musste ihm dabei wie üblich gefesselt und geknebelt zuhören), mit Tieren angefangen, mit Katzen und Hunden, mit Knüppeln und Giftködern. Er legte Feuer an einen Kaninchenstall. Tötete eine Katze mit einem Feuerwerkskörper, den er dem Tier in den Anus steckte. (»Aber zuerst brach ich ihr die Beine, damit sie nicht weglief.«) Ansonsten blieb er unauffällig und strebsam. Klassenbester. Mädchenschwarm. Ein perfekter Schauspieler – wie jeder Psychopath. Sex langweilte ihn. Macht auszuüben war sein Ding. Mit selbstbewussten Frauen war das nur begrenzt möglich – wie er nach einigen Fehlschlägen lernte, und er war nicht so dumm, es so weit zu treiben, dass er in echte Schwierigkeiten geriet. Obwohl dieses ganz bestimmte Gefühl in ihm niemals nachließ. Wie ein Kratzen im Hals, ein chronischer Husten, der nicht verschwinden will. Er verspürte ein dringendes Bedürfnis danach, bei der Zerstörung, der Auslöschung eines Menschen mitzuwirken. Er stellte sich dieses Ereignis wie eine Mischung aus Gottesdienst und Höllensturz vor. Er würde blutbesudelt als etwas Neues auferstehen. Als Wolf.
    Also war er immer auf der Suche nach dieser einen, einzigen Frau, diesem Opferlamm, einem Menschen, der schon verloren war

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