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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
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gefalle ihr das, was sie mit ihr machten, derweil sie einfach verschwand, aus der Welt hinaustrat in das Nichts.
    Ihr Vater war, wenn auch auf andere Weise, denselben Weg gegangen.
    Sie bekam bald einen gewissen Ruf, und ihre Liebhaber (so nannten sich die Gesichter, die Finger und Schwänze in frecher Anmaßung selbst) wurden rücksichtloser und benutzten ihren Körper so selbstverständlich, als gehörte er schon immer zum Inventar ihrer Phantasien. Nach der Schule ging es einfach mit anderen Kerlen weiter. Das war die Essenz des Lebens, oder? Dass es einfach weiterging, egal, wie beschissen es war.
    Nun, abgesehen von den Toten. Für die ging rein gar nichts weiter.
    Polly fand einen Job an der Supermarktkasse. Die Zeit erwies sich als ein launisches Miststück. Die Tage zogen sich immer gleich in die Länge, waren getaktet und verplant, und doch kam es ihr vor, als müsse sie nur einmal zwinkern, um vierundzwanzig Stunden zu überbrücken.
    Männer traten in ihr Leben ein wie Reisende in einen zugigen, düsteren Bahnhof, kaum war man da, wollte man wieder weg. Und jedes Mal derselbe Vorwurf: Du bist so kalt wie Sushi. Ihre Teilnahmslosigkeit provozierte das Schlechteste in ihnen. Doch selbst Schläge ließen sie nicht auftauen.
    »Warum bist du nie da, wo ich bin? Du bist wie abgestandene Luft, wie ein leeres, vergammeltes Haus mit offen stehender Tür. Was ist mit dir schiefgelaufen?«, fragte der Letzte.
    Nicht, dass es ihn wirklich interessierte. Sie arbeitete, ließ sich ficken, tat, was er ihr sagte, und da er gerade ohne Job war und auch keine Lust auf einen hatte, akzeptierte er die immer längeren Phasen ihrer inneren Abwesenheit.
    »Du brauchst Hilfe, echte Hilfe, aber zu so etwas habe ich keine Lust, wirklich nicht, ich weiß ja nicht mal, ob es sich lohnt.«
    (Seiner Meinung nach war sie ein hoffnungsloser Fall. Insgeheim war er sogar richtig froh, sie so einfach loszuwerden, als er ihr erzählte, dass er eine andere kennengelernt hatte. Sie machte ihm weder Vorwürfe noch eine Szene. Ihre emotionale Teilnahmslosigkeit, die ihn manchmal beim Sex so erregte, dass er ihr wehtat, aber nur ein bisschen, wie er sich vor sich selbst rechtfertigte, kotzte ihn zuletzt nur noch an. Irgendwie, dachte er, war sie wie eine schlechte Angewohnheit, die man einfach ablegt. Und er vermisste sie kein bisschen.)
    Mevissen war mit ihr zur Schule gegangen, aber nicht in dieselbe Klasse. Sie waren sich ab und an in den stillen Ecken und Winkeln des bedrückenden grauen Komplexes begegnet, und manchmal schnorrte der eine vom anderen eine Zigarette. Mevissen war selten alleine, er war einer dieser Einzelgänger, deren Wortkargheit und Lakonie bigger than life erschienen, und deshalb galt er als cool, und wer cool war, hatte immer ein oder zwei besonders anhängliche Jünger im Schlepptau. Nicht, dass ihn irgendjemand wirklich zu interessieren schien. Seltsam, sie ähnelten sich in ihrer Verschlossenheit, aber im Gegensatz zu ihm legte man das ihr wie selbstverständlich als Idiotie aus.
    Außerdem war sie als billig verschrien, ein Flittchen, eine Matratze. Jeder sprang auf ihr herum. Außer Mevissen. Dabei war er der Einzige, den sie wirklich gewollt hätte. Aber Mevissenvögelte keine Schulmädchen. Er trieb sich bereits in den dunklen Ecken des Lebens herum, vor denen man sie in der Schule noch eindringlich warnte. Lernte Leute kennen, die in keinem Adressverzeichnis unter der Rubrik »anständig«, oder »geregeltes Leben« verzeichnet waren.
    Er war zwar der Sohn eines Arztes (und schon damals nannten ihn alle Doc, der Name hielt sich und er nahm ihn auch in sein anderes Leben mit) und intelligent, aber nicht dazu bereit, in das Rattenrennen einzusteigen, auf den man den Rest konditionierte.
    Irgendwann verschwand Mevissen von der Schule. Gerüchte machten die Runde. Angeblich hatte er einen Lehrer verprügelt. Andere behaupteten, Mevissen würde mit Dealern abhängen. Einbrüche begehen. Die Bullen suchten angeblich nach ihm. Seine Eltern hätten ihn verstoßen. All das trug zur Legendenbildung bei. Als hätte Mevissen durch was auch immer eine Sprengfalle ausgelöst, und nun trafen die Druckwellen der Realität auch alle anderen.
    Seht her, das geschieht euch, wenn ihr scheitert.
    Für Polly war er einfach so verschwunden wie ihr Vater. Sie rechnete nicht damit, ihn irgendwann wiederzusehen. Seltsamerweise tat ihr das irgendwie leid.
    Holger war Geschäftsmann, er handelte mit Computern, die er aus Südkorea bezog.

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