Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
und von aller Hoffnung verlassen.
(»Hörst du«, sagte er, während er eine Zange um eine ihrer Brustwarzen schloss, »ich habe dich gesucht und gefunden.« Wie immer steigerte er den Schmerz, bis er Polly aufs Ganze ausfüllte und das Nichts in ihr für diese Nacht löschte. Sie versuchte zu schreien, aber der Gummiball in ihrem Mund zerquetschte jedes Wort.)
Gegen die Schmerzen seiner »Behandlungen« gab er ihr Schmerzmittel. Holger besaß eine ganze Armada davon – Tilidin und Tramadol, Oxycodon und Novalgin. Rezeptpflichtig, aber er hatte, wie er sagte, dafür jemanden an der Hand. Die Schmerzmittel betäubten Polly auf jede erdenkliche Weise. Die Tropfen und Tabletten und ihr stillender, narkotisierender Trost waren die Rückseite der Schmerzen. Und sie machten Polly ebenso abhängig wie das Schlaf- und Beruhigungsmittel Lorazepam. Im Discounter waren sie neidisch auf Polly, die jetzt jeden Tag mit einem Porsche vorgefahren wurde. Neidisch auf die teuren Kleider, unter denen sich ihr geschundener Körper verbarg. Das teure Make-up (denn er berührte niemals ihr Gesicht), den Schmuck (denn sein Spielzeug sollte etwas hermachen, schließlich hatte er einen Ruf), auf das gute, besondere Leben (wer träumte nicht davon? Und besonders war es ja jetzt auch, ihr Leben).
Die Zeit ihres Umhertaumelns war vorbei – Holger hatte sie, buchstäblich, an die Leine gelegt. Sichtbar (wenn sie alleine waren und Polly nackt und blutend auf allen vieren durch seine Penthouse-Wohnung hinter ihm herkroch) und unsichtbar, wenn sie, Hand in Hand (aber niemand sah, wie seine starken Finger sich in ihr Fleisch bohrten, so dass ihre Augen immer feucht vor Ergriffenheit und Glück waren), durch die Straßen flanierten. Oder bei ihrer Mutter auftauchten. Denn Holger interessierte sich sehr für Pollys Leben. Für die Triggerpunkte ihrer Persönlichkeit. So erfuhr er von ihrem Vater.
Er erfuhr es in einem langen, nachmittäglichen Gespräch mit ihrer Mutter, die ihm bereitwillig Auskunft erteilte.
Polly hatte ihre Mutter seit Jahren nicht mehr gesehen und war, obwohl sie nicht mehr viel für sie empfand, erschrocken über ihren Absturz. Sie hatte ihre Arbeit verloren, trank und rauchte im Übermaß, das Alter hatte sich wie eine verfrühte Totenmaske auf ihre Züge gelegt. Sie hatte ihrem Mann seinen Tod nie verziehen. Holger hingegen gefiel ihr, auch wenn sie nicht verstand, warum er sich ausgerechnet eine wie Polly ausgesucht hatte. (Sie war immer noch blind und taub angesichts ihrer Tochter.) Und von Polly kam nichts. Sie war mit Schmerzmitteln vollgepumpt und erlebte den Besuch wie unter einer gläsernen Glocke, die sie vor der Welt da draußen abschirmte. Genau das, was Holger auch bezweckte.
»Die macht’s nicht mehr lange«, sagte Holger, als sie wieder in den Porsche stiegen, dabei küsste er Polly demonstrativ, weil ihre Mutter dunkel und hohl wie eine verblassende Erinnerung am Fenster stand und ihnen nachsah. Wo er schon einmal dabei war, biss er Polly gleich die Lippe blutig. Das Blut war warm und salzig und, was ihn anging, süß.
»Bald kann die Alte verscharrt werden, und wen interessiert’s, dich bestimmt nicht, oder?«
Und verdammt, ja, er hatte recht, denn Polly hatte ihre Mutter schon lange aus ihrem Leben gestrichen. Ihrer Meinung nach hatte das Schicksal ihr den falschen Menschen geraubt. Und als sie ihm das im Tran ihrer Betäubung sagte, grinste Holger und entblößte seine blutigen Zähne, und da sah sie ihn zum ersten Mal, wie er schon zur Welt gekommen war: als Wolf.
»Dein Vater ist weg, deine Mutter ist fertig«, sang er und riss an ihren Haaren, und der Wolf schlug ihr seinen fauligen Atem ins Gesicht.
»Aber ICH bleibe.«
Ihr war klar, dass sie sterben würde.
Holgers Regiment wurde zunehmend härter. Seine Manipulationen an ihrer Seele wurden subtiler, seine Schnitte und Verbrennungenan ihrer Haut tiefer. Jetzt bearbeitete er auch in den Momenten, in denen er sich, ungezügelt und mit wölfischer Grausamkeit, in seinem Sadismus verlor, ihr Gesicht. Er sperrte sie in der Wohnung ein. Er kündigte ihren Job im Discounter. Er bereitete ihr Verschwinden vor. Er hatte noch nie einen Menschen getötet, und er malte sich aus, wie es wohl sein würde, diese letzte Grenze zu überwinden.
Polly versank immer mehr in einer Art von Bedeutungslosigkeit sich selbst gegenüber. Sie war nicht mehr als ein Zombie, gab eine Antwort, wenn sie gefragt wurde, wusch sich, wenn man es ihr auftrug, aß, schiss,
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