Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cyrus Darbandi
Vom Netzwerk:
wenigstens nicht. Holger hatte Schulden und Mevissen machte Druck.
    »Du kriegst deine Kohle schon«, sagte Holger am Handy.
    »Ja, und zwar heute. Jetzt und sofort.«
    »Ich kann gerade nicht weg«, sagte Holger. Dabei blickte der Wolf in das Schlafzimmer. Er hatte das Gefühl, eine Sache endgültig abzuschließen, und er wollte es genießen.
    »Das macht nichts«, sagte Mevissen, »ich stehe vor deiner Tür und du wirst sie öffnen, oder ich finde einen Weg hinein.«
    Das war keine leere Drohung, wusste Holger. Gut, scheiß drauf. Bezahlte er eben diesen Mistkerl. Schon schlug dieser gegen seine Wohnungstür. Was sollten die Nachbarn bloß davon halten? Immerhin hatte er einen Ruf zu verlieren als properer, tüchtiger junger Mann, everybodys darling, ein Schwiegersohn wie aus der Reklame – nun ja, nur solange man sich nicht allzu tief in seine Augen versenkte, um dahinter einen anderen Blick aufzufangen, einen hungrigen Blick.
    Holger sah noch ein letztes Mal auf das zusammengeschnürte, blutige Bündel auf dem Bett und schloss die Schlafzimmertür. Dann ließ er Mevissen in die Wohnung.
    »Aber du wusstest doch nichts von mir«, sagte Polly später.Mevissens Fingerspitzen kreisten sacht um ihre geschundene Haut, so als könne er sie alleine dadurch wieder heilen.
    »Zuerst nicht. Alles schien normal zu sein – bis auf den Typen. Er hatte nämlich etwas Blut am Gesicht und an seinen verdammten Fingern.«
    Und da war auch Blut am Knauf der Schlafzimmertür. Mevissens Blick blieb daran wie ein Magnet haften.
    »Ich spürte, dass da etwas nicht stimmte.«
    Holger war damit beschäftigt, das Geld zu zählen.
    »Abzuzählen, denn er wollte mir nicht mehr geben, als er schuldete, dieser kleine, ekelhafte Pedant.«
    Als Mevissen ihn auf das Blut ansprach, sagte Holger, er hätte sich beim Rasieren geschnitten.
    »Aber da war keine Wunde in seinem Gesicht.«
    Mevissen ging zum Schlafzimmer und öffnete die Tür. Er wartete darauf, dass Holger protestierte, aber der ließ es, das Geld in der Hand, geschehen.
    »Er tat nichts, um mich davon abzuhalten, das Zimmer zu betreten. Ich glaube, er wollte sehen, wie ich auf den Anblick da drinnen reagiere. Wollte mich prüfen. Sehen, ob ich auf seiner Wellenlänge bin. Oder ob mir das, was ich dort vorfand, einfach nur scheißegal war.«
    Polly hörte den Ekel in seiner Stimme und sah den Ekel in seinen Augen, als er davon sprach.
    »Er wartete, bis ich wieder rauskam.«
    Mevissen erinnerte sich an Holgers Blick. Seinen wölfischen Blick. Die beiden Männer sahen sich an. Dann sagte Holger mit einem verzerrten Grinsen: »Ach, scheiß drauf. Was kümmert’s dich schon? Dich interessiert doch gar nichts außer dir selbst.« Er holte ein zweites Bündel Scheine hervor und pflückte mehrere Hundert Euro davon ab. Hielt sie Mevissen hin. »Die vermisst niemand«, sagte er.
    »Das glaubte er tatsächlich«, sagte Mevissen. »Er war davon überzeugt, dass es Menschen gibt, die so unbedeutend, so unsichtbarsind, dass man sie einfach beseitigen kann, ohne dass die Welt diesen Verlust bemerkt. Aber es war nicht das, was mich wütend machte. Es war seine selbstverständliche Annahme, ich würde das Geld nehmen und den Mund halten und meine Augen verschließen. Vielleicht stimmt es, was mein Alter sagt, vielleicht bin ich tatsächlich ein egoistischer Drecksack. Tja, das wäre dann neben der Handschrift das Zweite, was uns beide verbindet. Und ja, ich kann nicht behaupten, dass mir viel an anderen liegt. Nur … dieses Mädchen, das dort blutend und gefesselt lag, war keine Fremde. Denn ich hatte dich wiedererkannt.«
    Sie lagen nebeneinander, und Mevissen tat nichts anderes, als ihren geschundenen, bebenden Körper an seinen zu drücken.
    »Und das macht den Unterschied aus, glaube ich«, sagte Mevissen. »Ich konnte mich nicht einfach umdrehen und das Geld nehmen und alles hinter mir lassen, so wie ich’s schon oft getan habe. Diesmal nicht.«
    »Ist er tot?«, fragte Polly.
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Nein.«
    Mevissen wusste nicht, ob er Holger getötet hatte. Sie hatten miteinander gekämpft. Holger war stark, fitnessstudiogestählt und wölfisch entschlossen , seine Beute zu verteidigen, aber Mevissen trieb sich schon lange auf der Straße herum, und die Straße hatte ihn gelehrt, wie man kämpft. Er trug ein Springmesser bei sich, weil er oft genug Leuten begegnet war, die etwas anders als Geld aus ihren Taschen beförderten, wenn sie ihre Hände dort reinschoben. Das

Weitere Kostenlose Bücher