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Das Licht des Nordens

Das Licht des Nordens

Titel: Das Licht des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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noch länger warte, wird alles schlecht bei dem ungewohnt warmen Wetter. Du mußt morgen daheim bleiben und mir beim Sieden helfen. Deine Schwestern auch.«
    Â»Pa, ich kann nicht. Ich fall zurück, wenn ich einen Tag versäume, und meine Prüfungen stehen doch an.«
    Â»Die Kühe werden nicht satt vom Lernen, Mattie. Ich muß Heu kaufen. Was ich letzten Herbst gemäht hab, ist fast schon aufgebraucht. Fred Becker gibt nichts auf Kredit, also muß ich Sirup verkaufen, um welches zu kriegen.«
    Ich wollte widersprechen, aber Pa sah von seiner Schüssel auf, und ich wußte, daß es besser war, den Mund zu halten. Er wischte sich die Lippen am Ärmel ab. »Du kannst von Glück reden, daß du dieses Jahr überhaupt gehen konntest«, sagte er. »Und das auch nur, weil die Vorstellung, daß du dein
Diplom
kriegst. deiner Mutter so viel bedeutet hat. Nächstes Jahr kannst du nicht weitermachen. Ich kann hier schließlich nicht alles allein schaffen.«
    Ich sah auf den Tisch und war wütend auf meinen Vater, weil er mich zu Hause festhielt, wenn auch nur für einen Tag, aber er hatte recht: Man kann eine vierundzwanzig Hektar große Farm nicht allein bewirtschaften. In dem Moment wünschte ich mir, es wäre immer noch Winter und würde Tag und Nacht schneien, und man müßte nicht pflügen und pflanzen, sondern könnte lange Abende mit Lesen und Schreiben verbringen, und Pa hätte nichts einzuwenden dagegen.
Reizbar,
dachte ich.
Verärgert, mürrisch. übellaunig.
Trifft haargenau auf meinen Vater zu. Es war sinnlos, ihn mit süßem Tee milde stimmen zu wollen. Genausogut könnte man versuchen, einen Stein zu erweichen. Ich holte tief Luft und setzte alles auf eine Karte.
    Â»Pa, ich möchte dich was fragen«, begann ich, während ganz gegen meinen Willen Hoffnung in mir aufstieg wie der Saft in unseren Ahornbäumen.
    Â»Hm?« Er zog eine Augenbraue hoch und aß weiter.
    Â»Kann ich diese Saison in einem der Hotels arbeiten? Vielleicht im Glenmore? Abby ist alt genug zum Kochen und für alle zu sorgen. Ich hab sie gefragt, und sie hat gemeint, sie würde das schon schaffen, und ich hab mir gedacht, wenn ich …«
    Â»Nein.«
    Â»Aber Pa …«
    Â»Du mußt dich nicht nach Arbeit umsehen. Hier gibt’s genug davon.«
    Ich wußte, daß er nein sagen würde. Warum hatte ich bloß gefragt? Ich starrte auf meine Hände – rote. rissige Altweiberhände – und wußte, was mir bevorstand: ein ganzer Sommer voller Knochenarbeit, ohne Geld dafür zu kriegen. Kochen, putzen, waschen. nähen, Hühner füttern, Schweine füttern, Kühe melken, Butter machen, Butter salzen, Seife kochen, pflügen, pflanzen, hacken, jäten, ernten, Heu machen, dreschen, einwecken – alles, was der ältesten Tochter einer Familie mit vier Töchtern, einer toten Mutter und einem herumgammelnden Bruder zufällt, der abgehauen ist, um auf dem Erie Kanal Boote zu fahren, statt wieder nach Hause zu kommen und auf der Farm zu arbeiten, wie er es sollte.
    Ich war aufgebracht und hatte deshalb mehr Mut. als gut für mich war. »Pa, sie bezahlen gut«, sagte ich. »Ich dachte, ich könnte ein bißchen Geld für mich zurücklegen und dir den Rest geben. Ich weiß doch. daß du es brauchst.«
    Â»Du kannst nicht allein da oben in einem Hotel bleiben. Das gehört sich nicht.«
    Â»Aber ich wäre ja nicht allein! Ada Bouchard und Frances Hill und Jane Miley gehen alle ins Glenmore arbeiten. Und die Morrisons, die das Hotel führen. sind anständige Leute. Ralph Simms geht auch. Und Mike Bouchard. Und Weaver auch.«
    Â»Weaver Smith ist keine Empfehlung.«
    Â»Bitte, Pa«, flüsterte ich.
    Â»Nein, Mattie. Das ist mein letztes Wort. In diesen Touristenhotels treiben sich alle möglichen Leute rum.«
    Â»Alle möglichen Leute« hieß Männer. Pa warnte mich immer vor Waldarbeitern, Trappern, Führern und Aufsehern. Vor Sportlern aus New York oder Montreal. Vor den Männern in den Theatertruppen aus Utica, den Zirkusleuten aus Albany und den Schaustellern, die in ihrem Schlepptau folgten. »Männer wollen immer nur das eine, Mathilda«, sagte er ständig. Als ich ihn einmal fragte, was das sei, bekam ich eine Ohrfeige und die Warnung, nicht vorlaut daherzureden.
    Doch es war nicht die Angst vor fremden Männern. die Pa Sorgen

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