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Das Licht des Orakels

Titel: Das Licht des Orakels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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was ihn halb ohnmächtig werden ließ.
    Ein Stiefel knallte ihm gegen die Rippen.
    Doch blindlings schlug er weiter um sich.
     
    Nach dem Abendessen sah sich Bryn in ihrer Vorhangnische um, die fast zwei Jahre ihr Zuhause gewesen war.
    Wie gerne würde sie sich von ihren Freundinnen verabschieden, aber das wäre zu riskant. Schnell murmelte sie ein Gebet für Alyce, Jacinta und Willow und wünschte ihnen Glück. Doch ihr Flüstern blieb ihr im Hals stecken.
    War sie wirklich kurz davor, den Tempel und ihren Traum, Priesterin des Orakels zu werden, hinter sich zu lassen? Hatte Kiran sie wirklich aufgefordert, mit ihm zu gehen?
    Ja, und sie würde gehen.
    Aber was bedeutete sein Verlangen sie mitzunehmen wirklich? Es konnte ganz einfach heißen, dass er eine Freundin nicht schutzlos in den Klauen des Meisterpriesters zurücklassen wollte. Vielleicht wollte er auch nur eine Reisegefährtin haben, doch das bezweifelte Bryn.
    Jacks Gesellschaft würde Kiran reichen.
    Empfindet er etwas für mich?
    Sie öffnete ihren Schrank, in dem ihr zweites Schülerinnengewand hing und das Kleid, das sie auf dem Sonnwendfest getragen hatte. Sie strich mit den Fingerspitzen über den schimmernden Stoff, zog sich aus, schlüpfte in das Festkleid und zog das Ersatzgewand darüber. Das bauschte sich an den Schultern etwas auf, doch sie hoffte, das würde nicht weiter auffallen.
    Als sie auf den Flur trat, war keine Menschenseele zu sehen. Erleichtert ging sie mit schnellen Schritten weiter.
    Vielleicht bedeutete das Fehlen der Wachen, dass sie und Kiran in aller Stille verschwinden konnten.
    Als sie die Ecke erreichte, wo es in den Gästeflügel ging, erschien vor ihr eine leuchtende Wolke von Distelwolle.
    Ihre erste Reaktion war Freude – eine Freude, die in ihren Ohren so laut dröhnte wie die Trommeln der Gilgamelltruppe. Oh, welch ein Glück! Doch dann setzte sich die Distelwolle in Bewegung, flog vor ihr her, und ihr wurde klar, dass sie sie vom Gästeflügel weg leitete.
    Sie zögerte. Alles in ihr verlangte danach, Kiran zu treffen. Er wollte, dass sie mit ihm kam. Er würde auf sie warten und sich fragen, ob sie überhaupt noch käme.
    Aber hatte sie sich nicht immer und immer wieder geschworen, der Distelwolle unbedingt zu folgen, sollte sie sie jemals wiedersehen? Egal, wohin sie sie leitete! Hatte sie nicht gesagt, nichts wäre wichtiger für sie oder würde es jemals sein?
    Jetzt war sie da und führte sie in eine Richtung, in die sie nicht gehen wollte. Bryn blickte in die Halle, durch die es zum Gästeflügel und zu Kiran ging. Keine Wachen zu sehen. Es wäre so einfach, durch die Tür in den Garten zu schlüpfen. Wenn sie zu lange wartete, war die Möglichkeit, mit Kiran zu gehen, vielleicht für immer vertan.
    Die strahlende Distelwolle schwebte nun schon weit voraus. Wenn sie rannte, konnte sie sie noch einholen.
    »Tut mir Leid, Kiran«, flüsterte sie mit schmerzender Kehle. »Ich darf sie nicht wieder missachten.« Als die Wolke um eine Ecke verschwand, rannte sie noch schneller.
    Die Distelwolle war diesmal viel schneller als in der Nacht, als Bryn ihr zum ersten Mal durch den Tempel gefolgt war. Bryn musste immer weiter rennen und verlor die Orientierung, da die Distelwolle durch unbekannte Flure flog. Und während sie durch die Gänge eilte, spürte sie einen Windhauch im Nacken.
     
    Kiran erkannte den Raum nicht, in dem er sich wiederfand. Da es keine Fenster gab, konnte er auch nicht abschätzen, wie lange er bewusstlos gewesen war. Zwei Kerzen in hohen Ständern beleuchteten drei Stühle an der einen Wand. Der Meisterpriester saß auf dem mittleren, Ilona und Clea rechts und links von ihm.
    Clea trug nun nicht mehr ein blaues, sondern ein schwarzes Gewand mit Silberstickerei. Zeichen des Gottes Keldes wanden sich um die Ärmel und ihr Federetui hing ihr offen vor der Brust. Der Meisterpriester und die Erste Priesterin trugen auch Schwarz, doch ihre Gewänder waren mit Gold durchwirkt.
    Kirans Füße waren gefesselt, seine Hände hinter dem Rücken zusammengebunden. Seine Rippen stachen bei jedem Atemzug und sein Gesicht fühlte sich geprellt und geschwollen an. In seinem Kopf hämmerte es schmerzhaft. Steif standen ein paar Wachen um ihn herum.
    »Aufgewacht, Kiran?«, fragte Renchald.
    Kiran blickte ihn schweigend an.
    »Du hast die Götter verraten«, sprach der Meisterpriester weiter.
    »Sprecht Ihr für die Götter, Renchald?«
    »Du hattest vor, Visionen zurückzuhalten und dem Tempel deine Fähigkeiten

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