Das Licht ferner Tage
gewusst hatte. Er wurde Zeuge von Ereignissen, von denen sie ihm niemals erzählt hatte. Und wie bei den meisten Lebens-Streiflichtern, die von der WurmCam aufgezeichnet worden waren, fiel es ihm schwer, dem Verlauf zu folgen. Die Unterhaltung war unlogisch, verworren und verlief in den immer gleichen Bahnen, wobei die Worte eher dazu dienten, die Gefühle der Sprecher auszudrücken als die zwischenmenschliche Begegnung mit rationalen Inhalten voranzubringen.
Nicht einmal ein Jahrhundert Kino und Fernsehen hatten die Menschen ausreichend auf die Realität der WurmCam vorbereitet. Dieses Drama war typisch fürs richtige Leben: Chaotisch, unstrukturiert und verwirrend. Die ahnungslosen Mitwirkenden versuchten zu verstehen, was mit ihnen geschah, versuchten sich über ihre Gefühle klar zu werden.
Die Handlung verlagerte sich vom Wohnzimmer in einen Saustall von Schlafzimmer. Nun stopfte Kingsley Klamotten in eine lederne Reisetasche, während Kate sich auch ein paar von seinen Sachen griff und sie aus dem Zimmer warf. Während der ganzen Zeit hielten sie den lautstarken Dialog aufrecht.
Schließlich stürmte Kingsley aus der Wohnung. Kate knallte die Tür hinter ihm zu. Sie stand für einen Moment reglos da und starrte auf die geschlossene Tür, ehe sie das Gesicht in den Händen barg.
Manning streckte die Hand aus und tippte auf die SoftScreen. Das Bild erstarrte in einer Großaufnahme von Kates Gesicht, das hinter den Händen verborgen war. Tränen sickerten sichtbar zwischen den Fingern hindurch, das Haar hing ihr wirr in die Stirn, und das Ganze wurde von einem leichten Fischaugen-Halo verzerrt.
»Ich glaube, dieser Zwischenfall ist der Schlüssel zu Ihrer Geschichte, Kate«, sagte Manning. »Zur Geschichte Ihres Lebens, das sie zu dem gemacht hat, was Sie sind.«
Die reale Kate, niedergeschlagen und verschüchtert, starrte ausdruckslos auf ihr jüngeres Selbst. »Man hat mir die IBM-Spionage angehängt«, sagte sie. »Es wurde so raffiniert eingefädelt, dass nicht einmal die WurmCam etwas mitgekriegt hat. Aber ich habe es trotzdem nicht getan. Und darauf sollten wir uns konzentrieren. Nicht auf diese Stammtisch-Psychoanalyse.«
»Das mag schon sein«, erwiderte Manning skeptisch. »Aber es obliegt mir nicht, Ermittlungen anzustellen. Der Richter hat mich beauftragt, Ihren Geisteszustand zum Zeitpunkt der Tat zu skizzieren: Motiv und Intention. Dabei will ich die WurmCam an Gründlichkeit noch übertreffen. Wir sollten auch nicht vergessen«, sagte er mit einem metallischen Klang in der Stimme, »dass Sie keine andere Wahl haben, als zu kooperieren.«
»Aber das ändert nichts an meiner Meinung«, entgegnete sie.
»Welcher Meinung?«
»Dass Sie wie jeder Psychoklempner, mit dem ich es bisher zu tun hatte, ein inhumanes Arschloch sind.« Die Rechtsanwältin berührte Kates Arm, doch Kate schüttelte sie ab.
Mannings Augen funkelten grimmig hinter der Brille, und Bobby erkannte, dass er es genoss, Macht über diese starrsinnige Frau auszuüben.
Manning wandte sich wieder der SoftScreen zu und ließ die kurze ›Abschieds‹-Szene noch einmal ablaufen. »Ich möchte rekapitulieren, was Sie mir über diesen Abschnitt Ihres Lebens erzählt haben. Sie hatten mit Kingsley Roman für ungefähr drei Jahre zusammengelebt, als Sie plötzlich einen Kinderwunsch verspürten. In der Folge haben Sie eine Fehlgeburt erlitten.«
»Ich bin sicher, diese Szene hat Ihnen besonders gut gefallen«, meinte Kate sarkastisch.
»Bitte«, sagte Manning mit gequälter Miene. »Dann sind Sie anscheinend mit Kingsley übereingekommen, es noch einmal zu versuchen.«
»Das haben wir niemals beschlossen. Wir haben es nicht einmal in Erwägung gezogen.«
Manning schaute auf einen Notizblock, wobei er wie eine Eule blinzelte. »Das haben Sie sehr wohl. Der 24. Februar 2032 ist ein eindeutiger Beleg. Ich zeige es Ihnen, wenn Sie wollen.« Er schaute sie über den Brillenrand hinweg an.
»Keine Sorge, wenn Ihre Erinnerungen von der WurmCam- Aufzeichnung abweichen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass es völlig normal ist. Konfabulation, Sie erinnern sich. Soll ich weitermachen?
Trotz Ihrer klaren Entscheidung kommt es nicht zu einer Empfängnis. Sie nehmen sogar wieder Verhütungsmittel, so dass eine Empfängnis ohnehin unmöglich gewesen wäre. Ein halbes Jahr nach der Fehlgeburt fängt Kingsley ein Verhältnis mit einer Arbeitskollegin an. Ihr Name ist Jodie Morris. Nach ein paar
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