Das Licht ferner Tage
Konfabulation…«
»Ich habe Ihnen gesagt, wie es war«, sagte sie kalt. »Kingsley ist fremdgegangen, weil die Fehlgeburt unsre Beziehung belastet hat.«
»Ach so, die Fehlgeburt: Das große kausale Ereignis in Ihrem Leben. Leider verhält es sich ganz anders. Kingsleys Verhaltensmuster hatten sich verfestigt, lang bevor er Sie kennen gelernt hatte, und durch die Fehlgeburt war diese Einstellung kaum verändert worden. Sie haben auch gesagt, Sie hätten sich nach diesem Ereignis verstärkt auf Ihre Karriere konzentriert.«
»Ja. Das ist offensichtlich.«
»Es ist zwar etwas schwerer zu beweisen, aber ich vermag wiederum zu belegen, dass es schon ein paar Monate vor der Fehlgeburt mit Ihrer Karriere aufwärts ging. Sie hatten sich ohnehin schon auf Ihren Beruf konzentriert, sodass die Fehlgeburt keine Veränderung bewirkt hat.« Er musterte sie. »Kate, Sie haben eine Geschichte um die Fehlgeburt konstruiert. Sie haben sich eingeredet, ihre Bedeutung würde über den eigentlichen Sachverhalt hinausgehen. Die Fehlgeburt war eine schwere Prüfung, die Ihnen auferlegt wurde. Aber sie hat im Grunde nichts verändert… Ich habe das Gefühl, Sie glauben mir nicht?«
Sie sagte nichts.
Manning legte die Finger aneinander und führte sie zum Kinn. »Ich glaube, Sie schätzen sich richtig und falsch zugleich ein. Mir ist durchaus klar, dass die Fehlgeburt, die Sie erlitten hatten, Ihr Leben verändert hat. Aber nicht auf die ziemlich oberflächliche Art und Weise, wie Sie annehmen. Sie haben sich deswegen nicht in die Arbeit gestürzt, und Ihr Verhältnis zu Kingsley ist davon auch nicht beschädigt worden. Aber der Verlust Ihres Kindes hat Sie tief verletzt. Und ich glaube, Sie werden nun von der Angst umgetrieben, dass es vielleicht wieder geschieht.«
»Angst?«
»Sie müssen mir glauben, dass ich Sie nicht verurteilen will. Ich suche lediglich nach einer Erklärung. Ihre kompensatorische Aktivität ist die Arbeit. Vielleicht hat diese tiefe Angst Sie zu größeren Leistungen und größerem Erfolg getrieben. Aber Sie haben auch eine Besessenheit entwickelt. Sie stürzen sich in die Arbeit, um sich von dem abzulenken, was Sie als tiefen Abgrund im Kern Ihres Seins betrachten. Deshalb sind Sie eine Getriebene…«
»Richtig. Und das ist auch der Grund, weshalb ich mit Hirams Wurmlöchern seine Konkurrenten ausgespäht habe.« Sie schüttelte den Kopf. »Wie viel bezahlt man Ihnen für diesen Kokolores, Doktor?«
Manning ging langsam vor der SoftScreen auf und ab. »Kate, Sie sind einer der ersten Menschen, die diesen… ähem, diesen Wahrheits-Schock ertragen müssen; aber Sie werden nicht die Letzte sein. Wir alle müssen lernen, ohne die bequemen Lügen zu leben, die wir uns in der Dunkelheit des Bewusstseins einflüstern…«
»Ich bin in der Lage, Beziehungen einzugehen; sogar dauerhafte und stabile. Wie vereinbaren Sie das mit meiner Darstellung als Opfer eines Schocktraumas?«
Manning runzelte die Stirn, als ob die Frage ihn verwirrt hätte. »Sie meinen Mr. Patterson? Aber ich sehe hier keinen Widerspruch.« Er ging zu Bobby hinüber, bat ihn murmelnd um Verzeihung und musterte ihn. »In vielerlei Hinsicht ist Bobby Patterson einer der kindlichsten Erwachsenen, denen ich jemals begegnet bin. Er ist deshalb ein exakter… ähem, Füller für das ›kindförmige‹ Loch im Zentrum Ihrer Personalität.« Er drehte sich zu Kate um. »Verstehen Sie?«
Sie starrte ihn mit hochrotem Kopf an.
4
DER WASSERKRIEG
Heather saß zu Hause vor der SoftScreen und gab neue Suchparameter ein. LAND: Usbekistan. STADT: Nukus…
Sie wunderte sich nicht, als ein türkisfarbenes Fenster sich öffnete, das zwar schön anzusehen, aber auch leer war. Nukus war Kriegsgebiet.
Das stellte Heather nicht vor unüberwindliche Probleme. Es war ihr früher schon gelungen, Zensur-Software zu überlisten. Und dass sie nun Zugang zu einer eigenen WurmCam hatte, bedeutete noch einen zusätzlichen Ansporn für sie.
Lächelnd machte sie sich an die Arbeit.
Als – nach massivem Druck der Öffentlichkeit – die ersten Firmen Privatkunden WurmCam- Zugang per Internet anboten, war Heather Mays eine der ersten, die ein Abonnement bestellten.
Sie hatte obendrein den Vorteil, zu Hause arbeiten zu können. Aus einem benutzerfreundlichen Menü wählte sie eine Zone für die Beobachtung aus. Sie war in der Lage, jeden Ort auf der Welt zu selektieren, wobei sie ihn anhand der geografischen Koordinaten oder einer Postanschrift so
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