Das Licht ferner Tage
der WurmCam infrage gestellt.
Immerhin bemühte man sich, den Einsatz der WurmCam gesetzlich zu regeln und von Ermittlungsbehörden wie dem FBI und der Polizei kontrollieren zu lassen, um den Verlust von Privat- und anderen Freiheitsrechten zu kompensieren. So mussten zum Beispiel WurmCam- Aufzeichnungen für rechtliche Zwecke unter der Aufsicht eigens dafür geschulter Beobachter erstellt und notariell beglaubigt werden. Das bot freilich keine Gewähr gegen Missbrauch, weil jede WurmCam- Observierung beliebig oft wiederholt werden konnte.
Es wurde sogar die Forderung erhoben, die Leute sollten sich darauf einstellen, eine Art von ›dokumentiertem‹ Leben zu führen. Das würde den Behörden freien Zugang zu jedem Ereignis im Leben eines jeden Bürgers gewähren, ohne dass formale Prozeduren zu beachten wären – und zugleich würde es falsche Anschuldigungen und die Annahme fremder Identitäten erschweren.
Trotz Protesten von Grundrechtsschützern schien die WurmCam, soweit sie für die Verbrechensaufklärung und Strafverfolgung eingesetzt wurde, von der Öffentlichkeit als vollendete Tatsache akzeptiert zu werden. Sie war einfach zu mächtig, als dass man sie hätte ignorieren können.
Manche Philosophen hielten das sogar für eine gute Sache. Schließlich hatten die Menschen sich in kleinen Gruppen entwickelt, wo jeder jeden kannte und Fremde die Ausnahme waren. Erst vor kurzem – zumindest im Maßstab der Evolution – waren die Menschen gezwungen worden, sich zu größeren Gemeinschaften wie Städten zusammenzuschließen und mit Freunden und Fremden gleichermaßen auf engem Raum zusammenzuleben. Die WurmCam bedeutete die Rückkehr zu einer älteren Lebensweise, wo man auch die Belange anderer Menschen berücksichtigte und sich mit ihnen austauschte.
Das war natürlich kein Trost für jene, die befürchteten, ihrem Bedürfnis nach einer Art Schutzzone – einem klar definierten Raum, in dem sie Ruhe, Anonymität, Zuflucht und trautes Beisammensein finden konnten – würde nun nicht mehr entsprochen.
Und in dem Maß, wie das Geschichtsbetrachtungs-Potential der WurmCam sich entfaltete, war man nicht einmal mehr in der Vergangenheit sicher.
Viele Leute waren auf die eine oder andere Art durch die Aufdeckung der Wahrheit verletzt worden. Die meisten gaben weder der Wahrheit noch sich selbst die Schuld, sondern der WurmCam und denjenigen, die sie über die Welt gebracht hatten.
Hiram blieb das Hauptziel.
Bobby mutmaßte, dass er diese zweifelhafte Berühmtheit anfangs sogar genossen hatte. Das war gut fürs Geschäft. Doch das Bombardement mit Drohungen, Mordanschlägen und Sabotageversuchen hatte ihn zermürbt. Es wurden sogar Verleumdungsklagen von Leuten erhoben, die behaupteten, Hiram würde die Enthüllungen der WurmCam über sie selbst, ihre Freunde, Feinde und Idole konstruieren.
Bald wurde es nie mehr dunkel um Hiram. Sein Anwesen an der Westküste wurde von Flutlichtern, die von zahlreichen Generatoren mit Strom versorgt wurden, taghell erleuchtet. Er ließ sogar nachts im Schlafzimmer das Licht an. Kein Sicherheitssystem bot hundertprozentigen Schutz. Immerhin vermochte Hiram sicherzustellen, dass jeder Eindringling von den WurmCams der Zukunft erfasst wurde.
Also führte Hiram im gnadenlosen Scheinwerferlicht ein einsames Leben unter den hasserfüllten Blicken der ganzen Welt.
Die grausame Prozedur ging weiter.
Manning konsultierte sein Notebook. »Ich will mal einen Blick auf die Fakten werfen: Unwiderlegbare historische Wahrheiten, allesamt ordnungsgemäß festgestellt und beglaubigt. Zunächst einmal war Kingsleys Affäre mit Ms. Morris nicht der einzige Seitensprung in der Zeit, in der er mit Ihnen zusammen war. Einen Monat, nachdem er Sie kennen gelernt hatte, begann er ein kurzes und anscheinend unbefriedigendes Verhältnis mit einer anderen Frau. Und ein halbes Jahr später…«
»Nein.«
»Insgesamt scheint er sechs längere Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten zu haben, bevor Sie hinter seine Affäre mit Jodie gekommen sind.« Er lächelte. »Falls das ein Trost für Sie ist – er hat seine Partnerinnen vor und nach Ihnen auch betrogen. Er scheint ein notorischer Fremdgänger zu sein.«
»Das ist lächerlich. Ich hätte es gewusst.«
»Sie sind auch nur ein Mensch. Ich kann Ihnen Momente zeigen, wo Sie eindeutige Beweise für Kingsleys Untreue hatten und es nicht wahrhaben wollten. Sie haben es wegrationalisiert, ohne dass Sie sich dessen bewusst gewesen wären.
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