Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
wünschte, ich könnte bleiben«, sagte er, »aber die Ungeduld lässt mich nicht los. Was immer mich erwartet, ich will es herausfinden – und wie ein alter Freund einmal sagte: Der Beginn einer Reise ist immer am schönsten.«
Dann komme ich mit.
»Weißt du, worum du da bittest?«, fragte Sarik verblüfft. »Die Welt da draußen war früher schon kein Ort für Irrlichter.«
Doch das Irrlicht glomm entschlossen und hoffnungsvoll, und Sarik sah, dass es ihm ernst war.
»Also schön«, sagte er und war insgeheim dankbar. Dann nahm er seinen Dreispitz und trat nach draußen. Es war ein wenig dunkler geworden auf der Lichtung und so still, als hätte sich der Wald von ihm abgewandt.
Er schloss die Tür hinter sich, und mit einem letzten Blick auf seine Hütte ließ er sie zurück. Er wusste, der Blaue Wald würde nie wirklich fern sein. Er konnte sein Reich mit der nötigen Ruhe von jedem anderen Wald der Welt aus betreten und auf demselben Weg wieder verlassen. Dennoch fiel ihm der Abschied schwer.
Das Irrlicht blieb noch einen Moment länger auf der Lichtung. Es hatte ebenso wenig wie Sarik damit gerechnet, dass dieser Moment kommen würde, doch für das Irrlicht war ein Augenblick wie jeder andere.
Es flog zu den anderen Irrlichtern, um ihnen seinen Entschluss mitzuteilen. Sie stimmten ihm zu – und als es die Lichtung dann verließ, waren sie auch schon erloschen.
Ihm blieb keine Wahl. Einsam, strahlend, weiß folgte es Sarik.
APRIL HAT GEBURTSTAG
D er Tag im Frühjahr 1598, an dem April ihren Vater die Treppe hinab und damit gleichsam aus ihrem Leben stieß, begann mit einer Reise nach Thain anlässlich ihres siebzehnten Geburtstags.
April wunderte sich darüber, denn ihr Vater ging so gut wie nie auf Reisen und hatte sie noch nie auf eine mitgenommen. Zur Erklärung brachte er nur vor, er hoffe, ein wichtiges Geschäft mit einem Händler abzuschließen, den er damals im Krieg kennengelernt hatte. Außerdem hätte er eine Überraschung für sie.
Es erstaunte sie, dass er überhaupt an ihren Geburtstag gedacht hatte; sie konnte sich kaum erinnern, wann ihr irgendwer zuletzt etwas geschenkt hatte. Wahrscheinlich war es vor vier Jahren gewesen, als Todd die Brosche im Wald fand. Aber April war froh, dem Gefängnis der Furt für ein paar Tage zu entkommen, selbst wenn der Wärter mit von der Partie war. Also spannten sie den alten Ochsen vor den Wagen und fuhren los.
Das Verhalten ihres Vaters war im Laufe der letzten Monate noch unberechenbarer geworden. Seit Nells Hochzeit hatte er begonnen, sich seinen eigenen Schnaps zu brennen, dem er meistens schon morgens zusprach. Auch seine nächste Entscheidung an diesem Vormittag mochte damit zu tun haben: Er ließ April den Wagen lenken, um sich hinten auf der Ladefläche schlafen zu legen.
April machte das nichts aus. Sie genoss die Reise, auch wenn sie Hunger hatte und fror. Der Frühling ließ sich Zeit dieses Jahr,es war noch sehr frisch, und ein leichter Regen hielt sich seit wochen beharrlich über dem Land und hatte die Äcker in eine Sumpflandschaft verwandelt. Aufmerksam beobachtete sie die Bauern, die durch den Schlamm wateten. Es waren mehr fremde Gesichter, als sie seit dem Jahr, in dem die Soldaten kamen, gesehen hatte.
Die Bedrohung durch die alles verschlingende Leere schien in letzter Zeit schwächer geworden, oder vielleicht waren Aprils Sinne seit dem Erntedankfest auch nur abgestumpft. Noch immer aber war sie sich bewusst, dass der Welt in ihrem Innersten etwas Entscheidendes fehlte. Und nach wie vor sah sie in ihren Träumen die andere Sonne, ein helles Licht fern hinter dem südlichen Horizont; und sie wünschte, sie könnte es befreien und über die Welt ausschütten.
Es war Abend, als sie ankamen. Thain war die größte Ortschaft der Gegend, über tausend Menschen lebten unter den eng aneinander gebauten Dächern, und ihr Vater sagte, Besucher von weit her kämen nach Thain, weil es einen richtigen Markt und sogar eine Post gab. Für ihn war es der Nabel der Welt, und auch wenn April vom Hörensagen wusste, dass Melnor (wo Todd und seine Mutter nun lebten) noch viel größer sein musste, war sie ausnahmsweise seiner Meinung.
Die Herberge, vor der sie hielten, war größer als die Scheune von Nells Hochzeit. Wahrscheinlich war das weiße Fachwerkhaus das größte Gebäude überhaupt, das sie je von innen gesehen hatte, und erst war ihr, als müsste ihnen jeder sofort ansehen, dass sie nicht hierher gehörten. Doch keiner der
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