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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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anderen Gäste nahm Notiz von dem stämmigen Mann und seiner mageren Tochter, als sie an die Theke traten.
    Ihr Vater verlangte zunächst nach etwas zu trinken und ließ eine Nachricht an seinen Geschäftsfreund senden, während April und der Stallknecht sich um den Ochsen und den Wagen kümmerten.Als sie wiederkam, war ihr Vater so betrunken, dass er nicht mehr in der Lage war, den Weg auf ihr Zimmer zu finden. Weil sie auch nicht wusste, welches Zimmer ihnen der pausbäckige Wirt zugeteilt hatte, gab ihr Vater ihr eine schallende Ohrfeige und beruhigte sich erst, als der Stallknecht sich erbot, ihm nach oben zu helfen.
    Es war nur ein einfaches Zimmer, und wie sich nun herausstellte, befand sich darin auch nur ein einziges Bett. Darauf streckte sich ihr Vater alsbald aus und fing an zu schnarchen. Er hatte eine kräftige Fahne, und April begann sich zu wünschen, sie könnte die Nacht bei den Ochsen im Stall verbringen.
    Sie öffnete das Fenster und schaute nach draußen. Der Nieselregen hatte aufgehört, und die Sonne war noch nicht untergegangen. Unter ihr schob sich das Durcheinander von Händlern und Reisenden durch die Straße. Ihre Wange schmerzte noch von der Ohrfeige. Hinter ihr schnarchte ihr Vater.
    »Ich wünschte, du wärst einfach nur still«, murmelte sie.
    Ihr Vater gab keine Antwort.
    Da merkte sie, dass der Stallknecht immer noch in der Tür stand und sie scheel ansah.
    »Was?«, schnappte sie.
    »Unten gibt’s was zu essen«, haspelte er und verschwand.
    April löste ihre zitternden Hände vom Fenstersims und atmete tief durch. Mit einem langen Blick auf ihren Vater, dessen Brustkorb sich hob und senkte wie eine alte Pumpe, folgte sie dem Stallknecht nach unten.
    Eine Weile saß sie im Schankraum, stocherte in ihrem Essen und beobachtete die anderen Gäste. Die Leute sprachen einen ungewohnten Dialekt, und einige machten einen sehr wohlhabenden Eindruck. Ein ums andere Mal ging ihr Blick zur offenen Tür und auf die Straße. Es dämmerte allmählich. Sie dachte an ihren Vater oben auf dem Bett und spürte, wie sich ihre feuchten Finger um die paar Pennys schlossen, die sie in der Tasche trug – Taschengeld von Bruder Tito, das sie auf die Reise mitgenommen hatte,ohne recht zu wissen, wofür. Wahrscheinlich sollte sie am besten einfach warten, bis ihr Vater wieder zu sich kam. Oder sich zu ihm legen und versuchen zu schlafen.
    Doch hatte es ihr je geholfen, zu tun, was man von ihr erwartete?
    Es war ein verstörender Gedanke.
    Sie stand auf und trat hinaus auf die Straße.
    Etwas verloren stand sie am Straßenrand und beäugte die Menschen, Einheimische wie Reisende, die sich lachend und fluchend an ihr vorbeischoben. Sie sah junge Frauen mit Körben und Eimern; alte Bettler, die unablässig vor sich hin murmelten; reich gewandete Herrschaften aus dem Westen, aus Melnor, Glaive und dem Herzen des Strahlenden Reichs; ärmliche Tagelöhner und in Lumpen gehüllte Familien, vielleicht aus dem Norden, wo das Leben unsicher und hart sein sollte. Manche von ihnen hatten Esel und Pferde oder sogar Träger dabei, und obwohl April das Gedränge und all die Gerüche nach Unrat, Pferdedung und Essen zuwider waren, tat sie erst einen Schritt, dann noch einen, und ließ sich schließlich treiben.
    Die Häuser hatten zwei oder mehr Stockwerke und drängten sich dicht aneinander. In den Gassen hingen Laternen, die nun nach und nach entzündet wurden. Es war aufregend, wie das Leben einfach weiterging, selbst mit Einbruch der Dunkelheit. Auf einmal fiel ihr wieder ein, dass sie Geburtstag hatte, und sie lachte.
    Rascher, als sie erwartet hätte, erreichte sie den Rand der Ortschaft. Auch hier waren noch Leute unterwegs, und bald stellte sie fest, dass dies mit einer Reihe hell erleuchteter Zelte zusammenhing, die auf einer kleinen Wiese im Kreis standen. Wilde Musik und der Geruch von Met und gebratenen Äpfeln schlugen ihr entgegen.
    Da vergaß sie ihre Sorgen – sie wollte jetzt alles sehen.
    Der dicke Mann mit dem großen Hut am Eingang lächelte, als sie ihm die Hand mit den Pennys hinstreckte. Einen Moment sah er sie prüfend an, wie sie da stand, linkisch und ungewaschen,die alten Schuhe knöcheltief im Schlamm. Dann nahm er einen Penny, schloss ihre Finger um die restlichen und schickte sie hinein.
    Wagen und Zelte verwandelten die Wiese in ein verrücktes, kleines Dorf, das von den seltsamsten Wesen bevölkert war, Gestalt gewordene Träume im Fackelschein.
    Ein Stelzengänger mit weiten Beinkleidern

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