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Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)

Titel: Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Plaschka
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sie. Nur einmal, als eine große Reiterschar sich einen Spaß daraus machte, sie wie die Meute das Wild zu hetzen, und April und Janner schon umdrehen und sich der Übermacht stellen wollten, ließ Sarik den seichten Fluss, den die Soldaten gerade durchquerten, zu Eis erstarren. Die Schreie der Pferde und ihrer Reiter waren so grauenhaft, dass April Sarik nicht noch einmal bat, sie zu schützen.
    Manchmal versprachen sie ein paar Bauern eine Nacht ihren Schutz für ein paar alte Kartoffeln und ein Lager aus Stroh. Es war in einer dieser Scheunen, dass April glaubte, zum ersten Mal das Kind in ihrem Bauch zu spüren, und es machte ihr Angst. Sie hatte keine Erfahrung mit dem Kinderkriegen und wusste nicht genau, wann Janner es in sie gepflanzt hatte. Sie hoffte nur, dass es nicht die erste Nacht in Ipatana mit all dem Blut gewesen war, sondern irgendwann später.
    Freilich gab es noch eine ganz andere Möglichkeit – doch an die wollte sie gar nicht denken.
    Vielleicht hätte Sarik es ihr sagen können. Oft lehnte er im Schneidersitz an einer Wand und schien weder zu schlafen noch zu wachen, die Augen halb geschlossen, das Irrlicht in seinem Schoß. Sie glaubte, dass er von ihrer Schwangerschaft wusste, und gab sich auch keine Mühe, es vor ihm zu verbergen; doch sie hatte Angst, ihn nach dem Kind zu fragen. Sie wollte nicht wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen war, oder schon gar nicht, wie seine Zukunft aussah.
    Janner lag in diesen Nächten auf dem Rücken und starrte zur Decke, Feuerschein auf seiner vernarbten Brust und seinem Gesicht. Seit seiner Gefangenschaft hatte er nicht mehr getrunken und Schwierigkeiten mit dem Einschlafen. Sie wusste, die vielen ausgebrannten Höfe erinnerten ihn an das, was ihm in seiner Jugend passiert war, und wie er seine Mutter verlor. Dieselbe Tragödie vollzog sich in Gull jeden Tag, immer und immer wieder. Und wenn sie den Gesprächen der Bauern lauschten, oder denen der Patrouillen, wenn sie sich an ihnen vorbeischlichen, dann wurdeklar, dass niemand, weder Besatzer noch Aufständische, eigentlich wusste, wann und wieso die Welt so aus dem Ruder gelaufen war.
    Und sie alle, ob mit Angst oder mit Hass im Bauch, fragten sich, was der Kaiser nun tun würde: Würde er bis zum letzten Mann weiterkämpfen? Würde er das Festland seinem Schicksal überlassen und sich nach Pherenaïs zurückziehen? Kümmerte es ihn überhaupt, was hier geschah?
    Der Kaiser aber schwieg; und keiner, selbst die Präfekten nicht, wusste, wo er sich gerade befand.

    »Ich fasse es nicht«, sagte Janner, als sie Ende September das Ziel ihrer Reise erreichten. »Der Kaiser ist hier.«
    Die Grenze nach Teveral war in Nebel gehüllt gewesen (mit dem, sagte Sarik, er nicht das Geringste zu tun hatte). Immer wieder hatte eine Ahnung von Salz in der Luft gelegen; das Meer konnte nicht fern sein, und April hätte es gerne gesehen, doch Sarik hatte sie abseits der großen Straßen nach Westen geführt, hinaus in die teverische Steppe, die sich bald von Horizont zu Horizont erstreckte. Inmitten eines flachen Ringgebirges, das, so Sarik, vor langer Zeit entstand, als Erde und Himmel sich auftaten und sich in Feuer und Rauch für einen Augenblick vereinten, erstreckte sich eine unwirtliche Ebene, in der alle Formen seltsam glatt und geschmolzen wirkten und die nur von ein paar Flechten und trockenen Gräsern bewachsen war. Und in deren Mitte, Iris im Auge, die Feste Geador: fünfeckig und fremd, aus einem schmutzig-hellen Stein geschlagen.
    Rings um die Festung lagerte die Armee.
    Der Kaiser war schneller gewesen als sie.
    »Es sind nicht einfach bloß seine Soldaten«, murmelte Janner von ihrem Versteck aus. »Ich glaube, es sind dieselben verdammten Kohorten – oder nicht? Kannst du die Banner erkennen?« Er reichte April sein Fernrohr.
    Sarik hatte sie gegen Abend zu den Resten eines alten Steinkreises gebracht, der auf einem sanften Hügel etwa zwei Meilen vor der Festung lag. Die meisten der Steine waren umgestürzt und zersprungen, manche aber hatten das Verhängnis, das sich hier in der Ebene einst zutrug, überstanden. Von dort überschauten sie nun ihre Lage. Gut tausend Soldaten zwischen ihnen und den hohen Mauern des Ordens machten Geador zu einer uneinnehmbaren Insel, nur dass es diesmal weder Boote noch Flugmaschinen gab, die ihnen helfen konnten.
    »Ich fasse es nicht«, wiederholte Janner, während April angestrengt die Augen zusammenkniff und das Fernrohr schärfer stellte. »Kaum holt ihr mich

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