Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
einer reinen Laune heraus gebilligt hatte, beim Frühstück, tauschte einen Senator gegen einen anderen, eine alte Idee gegen eine neue, und bat sie, seinen Horizont zu erweitern. Sie wusste kaum, wo sie beginnen sollte.
»Ziel des Angriffs war die Befreiung des Renegaten Banneisen …«
»Ein schlimmer Aufwiegler, der unseren Vasallen im Osten viel Ärger bereitet hat«, mischte der Präfekt sich abermals ein. »Er hätte zum Abschluss der Gespräche hingerichtet werden sollen.«
Cassiopeia fiel dem Präfekten ins Wort. »Was er getan hat, ist völlig egal – worum es geht ist, wer er ist .«
»Und wer könnte er wohl sein?«, fragte der Kaiser, griff nach dem goldenen Becher und dem Krug und goss sich ein. Der Inhalt war weiß; Cassiopeia hielt es für Milch.
»Der Sohn des Fealv Tausenddorn«, sagte sie. »Er und die Ketzerin Seraya verkünden im Norden die neue Religion. Ihre Jünger haben ihn gerettet. Dieselben Leute, die seit Jahren Eure Vasallen gegen Euch aufwiegeln.«
Da zuckten die Lider des Kaisers, und zum ersten Mal hatte sie den Eindruck, dass er wirklich wach war. Die Iris seiner Augen war beinahe schwarz.
»Es geht um diesen neuen Kult, sagst du?«
»Ja, doch so neu ist er nicht. Zwar predigen sie vom Anbeginn einer neuen Zeit – in Wahrheit aber handelt es sich um die älteste Religion überhaupt: den Kult des ungeteilten Gottes, Paras Aclion, und seiner Wiederkehr.« Bei diesen Worten nickte sie in Richtung seiner Garde. »Fragt eure Leibwächter – die wissen, wovon ich rede.«
Die beiden Karsai traten ungemütlich von einem Bein aufs andere.
»Deshalb sind sie auch so mächtig«, setzte sie nach. »Deshalb konnte keiner Eurer Heerführer des Problems bislang Herr werden. Und so konnten sie auch den Winden und Wolken gebieten.«
»Sie wollen den einen Gott wiedereinsetzen?«, murmelte der Kaiser fasziniert und ließ den Becher sinken. » Den Gott? Wie wollen sie das anstellen?«
»Sie haben die Waffe, mit der er zerteilt wurde«, sagte Cassiopeia und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die Leichtigkeit ihrer eigenen Lügen überraschte. Doch es war, wie sie erwartet hatte: Wenn der Kaiser je an Paras oder einen der minderen Götter geglaubt hatte, so betrachtete er sich längst als ihren rechtmäßigen Erben; und seine Eifersucht und seine Gier waren ihre Verbündeten.
»Das Schwert aus Gebein? Was haben sie damit vor?«
»Genau weiß ich das nicht«, sagte sie, »denn ich bin keine Ketzerinwie sie – und ich spiele nicht das Spiel der Götter, so wie Ihr. Alles, was ich weiß, ist, dass es im Norden einen Ort gibt, an dem alte Magie und neues Leben existieren. Einen Ort«, fuhr sie mit Blick auf den lächelnden Wechselbalg fort, »an dem Götter starben und geboren werden und sich die Zukunft des Strahlenden Reiches entscheiden mag. Dorthin gehen sie nun, um zu tun, was immer das Schicksal ihnen vorsieht.«
»Das Schicksal«, erklärte der Kaiser, »ist eine alte Hure, die mich längst nicht mehr reizt. Mögen kleinere Geister als ich sie beglücken.« Dabei warf er einen kurzen Seitenblick zu Tial, der ihm unmerklich zunickte, wie eine Mutter, die ihrem Kind eine Süßigkeit gestattet. Es war beängstigend, wie sehr er den Kaiser in seiner Gewalt hatte.
Der Narr, dachte sie. Genoss er sein Spiel? Und würde er die Herausforderung annehmen?
Sie hoffte, sie hatte sich nicht in ihm getäuscht.
»Wo liegt dieser Ort?«, herrschte der Kaiser sie an. »Wo liegt diese Quelle göttlicher Macht?«
»Meine Sonne«, gelang es dem Präfekten einzuwenden, »der Gefangene war nur ein gewöhnlicher Mörder und ein Dieb, und wenn es Bestrebungen dieser Art in irgendeiner der Provinzen gäbe, hätten wir sicher schon davon –«
»Schweig still!«, schnappte der Kaiser. »Wenn er nur ein einfacher Mann ist – wie ist er dir dann entkommen? Wir haben gesehen, über welche Macht er und seine Leute gebieten – über mehr als meine jämmerliche Priesterschaft.« Er warf seinen Goldbecher nach den Leichen auf den spitzen Gerüsten. Der Inhalt malte für wenige Augenblicke einen Schweif weißer Tropfen in die Luft und fiel klappernd zu Boden; Milch vermischte sich mit Blut. »Oder willst du allen Ernstes behaupten, ein gewöhnliches Gewitter hätte diese Mauern dem Erdboden gleichgemacht? Hat vielleicht schlechtes Wetter die Soldaten in die Flucht geschlagen?«
Der Präfekt senkte demütig den Blick, und die Priester auf ihren Gerüsten tropften mit Nachdruck.
»Also,
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