Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
Sarik, »war, dass es noch einen weiteren Teil von ihm gab. Einen sehr alten Teil, an dem die Zeit ebenso vorüberging wie an mir – und der genauso vergessen wurde. In einem hatte Korianthe recht: Es war immer sein Plan gewesen, seine alte Größe wiederzuerlangen und die Hallen des Schicksals einzunehmen. Er war eine Wesenheit – er konnte das. Doch er kam zu spät. Genau wie alle anderen.«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte Janner.
»Schneeweiß«, flüsterte April. »Schneeweiß war einmal ein Teil von ihm?«
»All das, was ihn zu meinem Freund machte«, murmelte Sarik. »Oder was davon blieb.«
»Warum hat es sich dann nicht mit ihm vereint?«
»Weil es das nicht wollte.«
»Ich habe es gespürt«, sagte April. »Es hatte furchtbare Angst.«
»Vor ihm und dem, was aus ihm werden könnte. Und aus der Welt. Es hatte gesehen, was die Wesenheiten anrichten konnten. Es hat die Toten und die Verwundeten gesehen. Es hat ihre Schmerzen und ihre Angst gespürt.«
»Dann hat Schneeweiß die Pforten geschlossen?«
»Wir haben sie gemeinsam geschlossen«, sagte Sarik. »Und die Wesenheiten standen vor der Wahl, diese Welt abermals zu verlassen – oder auf ewig in ihr gestrandet zu sein.«
»Moment mal«, unterbrach Janner. »Soll das heißen, die Hallen des Schicksals sind nicht nur eine Legende? Es gibt sie wirklich?«
»Sie sind wirklicher als ich«, sagte Sarik. »Es gibt mehr Welten dort draußen, als du dir denken kannst.«
»Und das Irrlicht ist jetzt da drin?«, hakte er nach. »In den Kammern aus Porzellan? Und spielt mit meiner Figur?«
»Es hat mich gerettet«, erinnerte ihn April. »Und Sarik. Uns alle!«
»Ich glaube nicht, dass du etwas von ihm zu befürchten hast«, sagte Sarik. »Oder sonst irgendwer. Es hat, könnte man sagen, ein gutes Herz.«
»Es ist ein Irrlicht«, widersprach Janner.
»Es ist nichts anderes als Herz. Zearis’ Herz.« Sarik strich seinen Umhang glatt. »Außerdem weiß ich nicht, ob irgendetwas, das in den Hallen geschieht, noch eine Wirkung auf uns haben wird. Es gibt einfach nicht mehr genug Magie auf der Welt. Vielleicht wird dein Kind schon nicht mehr wissen, dass es sie je wirklich gab.«
Er warf April einen langen und nachdenklichen Blick zu.
»Es fällt mir schwer, das zu glauben«, versuchte sie ihn zu trösten. »Nach allem, was wir die letzten Monate erlebt haben! Du bist immer noch ein großer Zauberer. Du sprichst mit den Elementen. Und was ist mit den Lagandæern und der freien Gilde? Wir haben ihre Telegraphen gesehen.«
»Sie sind die Ausbeuter, die das letzte Gold aus einem alten Fluss waschen«, sagte Sarik. »Aber große Magie? Wie das Schwert, das du getragen hast? Oder der Nebel und der Sturm, die ich dir schenkte? Das ist vorbei.«
Er starrte auf seine Hände. »Eine kurze Weile kehrte sie zu mir zurück, und ich fühlte mich wieder wie einst, an Nerians Hof. Als all die Möglichkeiten, wie ein Regen fällt oder die Sonne mich wärmt oder der Wind mir durchs Haar fährt, noch grenzenlos waren. Heute bleibt mir nur noch das wenige, das in mir fortlebt, und die Erinnerung. Vielleicht wird es noch einen letzten Regen für mich geben, noch einen Sonnenschein, und einen Wind. Doch dann …«
Er blickte April wieder an. »Spürst du es denn nicht?«
»Was soll ich spüren?«
»Du hast das Schloss und das Schwert darinnen gesehen. Seit deiner Kindheit schon. War es nicht hell wie der Tag?«
»Es wurde anders, sobald ich das Schwert trug.«
»Und jetzt, da du es wieder verloren hast, April Schneeklinge?« Sie schwieg verdutzt. »Du hast recht«, sagte sie dann. »Ich hatte es noch gar nicht bemerkt.«
»Was bemerkt?«, fragte Janner besorgt.
»Dass alles gut ist«, sagte sie und fuhr ihm über die Wange. »Alles ist gut.«
»Du siehst nicht wieder die Leere hinter der Welt?«, vergewisserte sich Sarik. »Dass sie so hohl ist wie ein alter Baum, ohne Mark, ohne Leben?«
April lächelte. »Nein«, sagte sie.
»Darf ich?«, fragte er und streckte die Hand nach ihrem Bauch aus. »Bitte?«
Sie zuckte erst zurück, dann zwang sie sich zur Ruhe und nickte.
Sarik legte die Hand auf ihr Hemd und schloss einen Moment die Augen. Als er sie wieder öffnete, lag ein seltsamer Schimmer in ihnen.
»Ah«, sagte er und nahm seine Hand weg. »Ich verstehe.«
Verunsichert schaute April den Zauberer an.
»Was?«, fragte Janner wieder. »Was ist mit ihr?«
»Es ist das Kind, das sie unter dem Herzen trägt. Als sie Schneeklinge trug, war sie geblendet von
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