Das Licht Von Atlantis
Grund für Tränen«, flüsterte sie, »jetzt nicht mehr.« Damit stand sie auf, zog Deoris mit sich in die Höhe, nahm ihr Taschentuch und trocknete ihr die Tränen. Dann hielt sie es ihr an die immer noch kecke Stupsnase und befahl, ganz die große Schwester: »Schnauben!«
Als sie wieder sprechen konnten, ohne zu schluchzen oder zu lachen oder beides durcheinander, sah Domaris in das Gesicht der schönen, fremden und doch so vertrauten Frau, die ihre Schwester nun war, und fragte unsicher: »Deoris, wie ging es bei deiner Abreise - meinem Sohn? Sag mir schnell - geht es ihm gut? Er muss jetzt - schon fast ein Mann sein. Sieht er - seinem Vater sehr ähnlich?«
Deoris antwortete zärtlich: »Das kannst du selbst feststellen, mein Liebling. Er wartet draußen, denn er ist mitgekommen.«
»O gnädige Götter!« rief Domaris, und es sah aus, als werde sie von neuem ohnmächtig. »Deoris, mein Baby - mein lieber, kleiner Junge -«
»Verzeih mir, Domaris, aber ich - ich musste diesen einen Augenblick mit dir allein haben -«
»Aber natürlich, Schwesterchen, doch nun - oh, bring ihn mir!«
Deoris ging zur Tür, und Domaris, die keine Sekunde mehr warten konnte, lief mit. Langsam und ziemlich schüchtern, aber mit strahlendem Lächeln, kam ein hochaufgeschossener Junge auf seine Mutter zu und nahm sie in die Arme.
Mit einem kleinen Seufzer richtete Deoris sich auf und sah den beiden wehmütig zu. Schmerzlicher Kummer überkam sie und sie verließ das Zimmer. Als sie zurückkehrte, saß Domaris auf einem Diwan und Micail kniete zu ihren Füßen und drückte eine bereits flaumige Wange an ihre Hand.
Domaris stand mit glücklichem Lächeln auf, sah dass Deoris noch ein Kind bei sich hatte und rief: »Wer ist denn das, Deoris? Ist es dein Kind? Wie - wer - bring es her, lass es mich ansehen!« Dennoch wanderten ihre Augen immer wieder zu ihrem Sohn zurück, während Deoris dem Kind die warme Oberkleidung auszog. Bei aller Freude tat es Domaris weh, in dem dunklen, stolzen Gesicht des jungen Micail die Züge Micons so genau widergespiegelt zu sehen, dasselbe Lächeln, das nie lange von seinen Lippen wich, die klaren, sturmblauen Augen unter dem rötlich leuchtenden Haar, das sein einziges Erbteil vom Volk seiner Mutter war... Die Augen liefen ihr über, als sie mit ihrer zarten Hand über die Locken in seinem Nacken fuhr.
»Du bist jetzt ein Mann, Micail, wir müssen diese Locken abschneiden...«
Der Junge, plötzlich wieder schüchtern, senkte den Kopf.
Nun wandte sich Domaris ihrer Schwester zu. »Gib mir dein Kind, Deoris, ich möchte es mir ansehen. Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
»Ein Junge«, antwortete Deoris und legte Domaris das einjährige rosige Kind in die Arme.
»Oh, er ist süß, herzig!« bewunderte sie ihn. »Und wer -?« Domaris zögerte, die Frage auszusprechen.
Deoris griff mit ernstem Gesicht nach der freien Hand ihrer Schwester und gab ihr die einzige Erklärung, die Domaris je erhalten sollte. »Dein Kind ist ums Leben gekommen - zum Teil durch meine Schuld. Arvath war von jeder Beförderung ausgeschlossen, weil er keinen Sohn hatte. Und so habe ich die Verpflichtung, die du - nicht erfüllt hattest, für dich übernommen... und... Arvath war nicht unwillig.«
»Also ist dies - Arvaths Sohn?«
Deoris beachtete die Unterbrechung nicht, sondern fuhr ruhig fort: »Er hätte mich sogar geheiratet, aber ich wollte nicht allzu sehr in deine Fußstapfen treten. Später... es kam mir wie ein Wunder vor! Du weißt doch, Arvaths Eltern sind hier, in Ahtarrath, und sie hatten den Wunsch, seinen Sohn großzuziehen, da Arvath nicht wieder geheiratet hat. Also bat er mich, diese Reise zu unternehmen - es gab niemand anders, den er hätte schicken können -, und Rajasta sorgte dafür, dass ich dir Micail bringen durfte, denn wenn er volljährig wird, kann er Anspruch auf das Erbe und die Stellung seines Vaters erheben. Also ging ich mit den Kindern an Bord, und -« Sie zuckte die Schultern und lächelte.
»Hast du noch mehr Kinder?«
»Nein. Nari ist mein einziges Kind.«
Domaris sah den kleinen Lockenkopf auf ihrem Schoß an; er saß lachend und zufrieden da und spielte mit seinen Daumen. Jetzt, wo sie wusste, wer der Vater war, fand Domaris, dass er Ähnlichkeit mit Arvath hatte. Sie hob den Kopf und bemerkte den wehmütigen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Schwester. »Deoris -« begann sie - aber die Tür flog auf, und ein Mädchen tanzte ins Zimmer, blieb stehen und sah scheu zu den
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