Das Licht Von Atlantis
Selbst die Steine in den Wänden schienen erleichtert aufzuseufzen, als Micon sich von Riveda abwandte. Dieser blinzelte mehrmals und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.
»Während der Zeremonie«, nahm der Graumantel den Bericht mit ruhiger Stimme wieder auf, »bekam Deoris einen Schwindelanfall und fiel zu Boden. Eines der Mädchen brachte sie an die frische Luft. Danach schien ihr Zustand nicht mehr besorgniserregend zu sein. Sie sprach ganz normal mit mir. Ich begleitete sie bis an die Tore des Hauses der Zwölf. Das ist alles, was ich darüber weiß.« Riveda spreizte die Hände, richtete den Blick auf Deoris und fragte sie gütig: »Erinnerst du dich wirklich an gar nichts mehr?«
Deoris erschauderte, als packe der Schrecken, über das, was sie eben erfahren hatte, ihr Herz von neuem mit eisigen Klauen. »Ich beobachtete den - den Mann mit den gekreuzten Händen«, hauchte sie. »Der - der Vogel über seinem Thron flog davon! Und dann war ich in dem Idiotendorf -«
»Deoris!« schrie Micon heiser auf. Der Atlanter holte tief Atem; es klang fast wie ein Schluchzen. »Was meinst du mit - mit dem Idiotendorf?«
»Ich weiß es nicht.« Deoris' Augen wurden groß, und mit wachsender Angst flüsterte sie: »Ich weiß es nicht, ich habe nie - nie davon gehört!«
»Götter! Götter!« Micons hageres Gesicht sah plötzlich wie das eines sehr alten Mannes aus. Er taumelte. Verschwunden war die innere Kraft, die die Mächte von Ahtarrath herbeigerufen hatte. Unsicher ertastete er sich den Weg zu einem in der Nähe stehenden Sessel. »Das hatte ich befürchtet! Und jetzt ist es eingetreten!« Er senkte den Kopf und bedeckte das Gesicht mit seinen ausgemergelten Händen.
Bei Micons Schwächeanfall hatte Deoris ihre Cousine losgelassen und war zu ihm geeilt. Halb vor ihm in die Knie gesunken, flehte sie: »Micon, bitte, sag es mir! Was habe ich getan?«
»Bete, dass du dich niemals erinnern mögest!« kam Micons Stimme wie erstickt hinter seinen Händen hervor. »Durch die Gnade der Götter ist Domaris unverletzt geblieben!«
»Aber -« Deoris brachte es nicht über sich, den Namen auszusprechen, der Micon so aus der Fassung gebracht hatte. Sie umschrieb ihn: »Aber dieser Ort - was hat es damit auf sich und wie konnte ich -?« Sie vermochte nicht weiterzusprechen.
Micon gewann die Beherrschung zurück, legte die Hand auf Deoris' Kopf und zog das schluchzende Mädchen an sich. »Eine uralte Sünde«, murmelte er mit der brüchigen Stimme eines alten Mannes, »eine beinahe schon vergessene Schmach, die auf dem Haus von Ahtarrath ruht... genug! Dieser Angriff war nicht auf dich gezielt, Deoris, sondern auf - auf einen noch ungeborenen Atlanter. Quäle dich nicht länger, Kind.«
Riveda stand stumm und unbeweglich da wie ein Stein, die Arme fest über der Brust gekreuzt, die Lippen zusammengepresst und die leuchtend blauen Augen halb geschlossen. Elis, allein mit ihren Gedanken, saß zitternd auf dem Ruhebett und starrte zu Boden.
»Geh zu Domaris, mein Liebling«, sagte Micon weich, Deoris trocknete daraufhin ihre Tränen, küsste dem Atlanter ehrerbietig die Hand und ging. Elis stand auf und folgte ihr auf Zehenspitzen aus dem Raum. Hinter ihnen herrschte Stille.
Riveda brach schließlich das Schweigen. »Ich werde keine Ruhe mehr finden, bis ich weiß, wer das getan hat«, sagte er mit rauer Stimme.
Micon richtete sich mühsam auf. »Ich habe die Wahrheit gesagt. Der Angriff war gegen meinen Sohn gerichtet. Ich selbst bin keinen mehr wert.«
Rivedas dumpfes grollendes Lachen war voll zynischer Belustigung. »Ich wünschte, das hätte ich vor ein paar Minuten gewusst, als der Himmel selbst zu deiner Verteidigung eingriff!« Der Graumantel schwieg eine Weile. Dann fragte er leise: »Traust du mir immer noch nicht?«
Micon antwortete scharf: »Du trägst einen Teil der Schuld, weil du die ahnungslose Deoris in Gefahr gebracht hast. Allerdings -«
Rivedas Zorn kochte über. » Ich trage Schuld? Was ist mit dir? Hättest du es fertiggebracht, deinen verdammten Stolz lange genug zu vergessen, um gegen diese Teufel Zeugnis abzulegen, wären sie längst zu Tode gepeitscht worden, und dies hätte nie zu geschehen brauchen! Prinz von Ahtarrath, ich beabsichtige, in meinem Orden Ordnung zu schaffen! Und das jetzt nicht mehr deinetwegen und nicht einmal, um meinen eigenen Ruf zu wahren, der ist ohnehin nie besonders gut gewesen! Die Gesundheit meines Ordens erfordert -« Plötzlich merkte er, dass er
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