Das Licht Von Atlantis
brüllte, und senkte die Stimme. »Wer Zauberei zulässt, ist schlimmer als der, der Zauberei verübt. Menschen mögen aus Unwissenheit oder Torheit sündigen - aber was soll man von einem weisen Mann halten, einem Geweihten des Lichts, der sich aus Nächstenliebe weigert, die Unschuldigen zu schützen, damit den Schuldigen ja kein Leid geschieht? Wenn das der Weg des Lichts ist, sage ich: lasst Dunkelheit niederfallen!« Riveda sah auf den zusammengesunkenen Micon nieder, und sein Zorn ließ nach. Er legte die Hand auf die knochige Schulter des Atlanters und sagte ernst: »Prinz von Ahtarrath, ich schwöre, den Täter zu finden, und sollte es mich mein eigenes Leben kosten!«
Der schrille Ton, in dem er sprach, verriet den Grad von Micons Erschöpfung. »Suche nicht zu eifrig, Riveda! Du steckst bereits selbst zu tief darin.« Warnend setzte er hinzu: »Und nimm dich in acht, damit es dich nicht mehr kostet als dein Leben!«
Riveda brach in ein hässliches Lachen aus. »Behalte deine Weissagungen und Unheilsrufe für dich, Micon! Ich liebe das Leben ebenso wie jeder andere - aber es ist meine Aufgabe, den Schuldigen zu finden und Maßnahmen zu treffen, die einen weiteren Vorfall dieser Art verhindern. Außerdem muss Deoris beschützt werden - und das ist mein Recht, wie es das deine ist, Domaris vor Unheil zu bewahren.«
Micon fragte schnell und leise: »Was willst du damit sagen?«
Riveda zuckte die Schultern. »Nichts. Möglicherweise ist deine Prophezeiung ansteckend und ich sehe mein eigenes Karma in dem deinen widergespiegelt.« Mit großen und düster blickenden blauen Augen starrte er Micon an. »Ich weiß nicht recht, warum ich das sage. Nur bitte mich ja nicht darum, den Verantwortlichen die Strafe zu erlassen!«
Micon seufzte. Seine knochigen Hände zuckten. »Nein, das werde ich nicht tun«, murmelte er. »Auch das ist Karma!«
15. DIE SÜNDE, DIE LEBEN ZEUGT
Nur in außergewöhnlichen Notfällen oder bei Lebensgefahr wurde es Männern erlaubt, den Tempel Caratras zu betreten. Doch die jetzige Situation war so ungewöhnlich, dass Mutter Ysouda nach einigem Zögern Micon auf den Dachgarten führte, wohin man Domaris der Kühle wegen gebracht hatte, als feststand, dass ihr Kind nicht vorzeitig geboren werden würde.
»Du darfst nicht zu lange bleiben«, mahnte die alte Priesterin und ließ sie allein.
Micon wartete, bis ihre Schritte auf der Treppe verklangen. Mit scherzender Strenge, seine eigene Furcht überspielend, meinte er: »So hast du uns also alle für nichts in Angst versetzt, meine Liebe!«
Domaris lächelte schwach. »Tadele deinen Sohn, Micon, nicht seine Mutter! Er hält sich schon für den Herrn seiner Umgebung.«
»Ist er das vielleicht nicht?« Micon setzte sich neben sie. »Hat Deoris dich besucht?«
Domaris blickte zur Seite. »Ja...«
Sanft legte Micon seine Hand auf ihre und bat liebevoll: »Herz der Flamme, trage ihr nichts nach. Unser Kind ist gerettet - und Deoris ist ebenso unschuldig wie du, Geliebte.«
»Ich weiß - aber dein Sohn ist mir sehr kostbar«, hauchte Domaris. Dann stieß sie erbittert hervor: »Dieser - verdammte - Riveda!«
»Domaris! « Mahnend legte Micon ihr die Hand auf die Lippen. Sie küsste seine Handfläche. Er lächelte und fuhr freundlich fort: »Riveda wusste nichts davon. Sein einziger Fehler war, dass er zu arglos war und das Böse nicht spürte.« Sanft berührte er ihre Augen mit seinen mageren Fingern. »Du darfst nicht weinen, Geliebte -« Zögernd schwebte seine Hand über ihrem Körper. »Darf ich -?«
»Natürlich.« Glücklich über seinen Wunsch, nahm Domaris seine Hand und führte sie vorsichtig über ihren schwangeren Leib. Plötzlich vereinigten sich alle Sinne Micons; Vergangenheit und Gegenwart wurden zu einem einzigen Augenblick so intensiver Erfahrung, dass ihm fast war, als könne er sehen, als vermittelte ihm jeder Sinn die Bedeutung des Lebens. Er war nie so bewusst lebendig gewesen wie jetzt, als er den scharf-süßen Geruch der Medikamente, den flüchtigen Duft von Domaris' Haar und die Sauberkeit der Leintücher wahrnahm. Die Luft war erfüllt von dem kühlen und salzigen Atem des Meeres. Er hörte das ferne Donnern der Brandung, das Plätschern der Springbrunnen und die gedämpften Stimmen von Frauen in entfernten Räumen. Unter seiner Hand fühlte er die feinen Seiden-und Leinengewebe, die pulsierende Wärme des Körpers seiner Frau. Und dann spürte er unter seinen außergewöhnlich empfindsamen Fingern einen
Weitere Kostenlose Bücher