Das Licht Von Atlantis
hatte Demira natürlich nie gesehen, und wäre sie ihr je vor die Augen gekommen, hätte sie sie mit Verachtung behandelt, mochte Deoris dem kleinen saji -Mädchen zum Trost auch etwas anderes erzählt haben. Tiriki , dachte Deoris staunend, ist genau das, was Demira geworden wäre, hätte man sie so fürsorglich und liebevoll aufgezogen. Sie hat die ganze zarte Schönheit Demiras, ihre Anmut, ihren Zauber - und dazu etwas, das Demira fehlte - eine Süßigkeit, eine Wärme, ein wirkliches Vertrauen ins Leben! Deoris lächelte durch den Tränenschleier vor ihren Augen. Sie sagte zu sich selbst: Vielleicht war es am besten so... ich hätte nicht soviel für sie tun können .
Deoris streckte die Hand nach Tiriki aus und streichelte ihr über das glänzende, seidige Haar. »Weißt du, Tiriki, dass ich dich nur einmal gesehen habe, bevor du mir weggenommen wurdest? Aber in all diesen Jahren hat es keinen Tag gegeben, an dem du in meinem Herzen gefehlt hättest. Nur habe ich an dich immer als ein Baby gedacht - ich hatte nicht erwartet, dich fast schon als Frau wiederzufinden. Vielleicht können wir ja Freundinnen werden?« Sie schluckte ein bisschen bei diesen Worten, und Tiriki mit ihrem großmütigen Herzen konnte nicht anders, als bewegt zu sein.
Domaris hatte Micail zu sich gewunken und die Existenz von Deoris und Tiriki offenbar vergessen. Tiriki trat näher an Deoris heran. Sie sah den sehnsüchtigen Blick in den tiefblauen Augen, und das Taktgefühl, das ihre geliebte Domaris so sorgfältig in ihr entwickelt hatte, ließ sie nicht im Stich. Deoris war überrascht von der Gefasstheit des Kindes, als es seine Hand in die ihre gleiten ließ.
»Du bist nicht alt genug, um meine Mutter zu sein«, erklärte Tiriki so liebenswürdig, dass es nicht frech wirkte. Dann legte sie impulsiv die Arme um die Taille ihrer Mutter und blickte ihr vertrauensvoll ins Gesicht... Anfangs waren Tirikis einzige Überlegungen gewesen: Was würde kiha Domaris von mir erwarten? Ich muss mich so benehmen, dass sie sich meiner nicht zu schämen braucht! Jetzt aber war sie selbst von Deoris' beherrschtem Kummer, von ihrer Zurückhaltung zutiefst berührt.
Herzlich sagte das kleine Mädchen: »Nun habe ich eine Mutter und dazu einen kleinen Bruder. Lässt du mich mit meinem kleinen Bruder spielen?«
»Natürlich«, versprach Deoris, immer noch in der gleichen behutsamen Art. »Du bist selbst fast schon eine Frau, deshalb wird er in dem Glauben aufwachsen, er habe zwei Mütter. Wenn du willst, komm mit, dann kannst du zusehen, wie die Kinderfrau ihn badet und anzieht, und danach zeigst du deinem kleinen Bruder und mir vielleicht die Gärten.«
Damit hatte sie, wie sich bald herausstellte, genau das Richtige getan und auch den richtigen Ton getroffen. Tirikis letzte Vorbehalte schwanden schnell dahin. Eine Beziehung, wie zwischen Mutter und Tochter, entwickelte sich zwischen den beiden nie. Aber sie wurden Freundinnen - und sie blieben es in all den langen Monaten und Jahren, die ereignislos vorübergingen.
Arvaths Sohn wuchs zu einem stämmigen Kleinkind, dann zu einem gesunden Burschen heran. Tiriki schoss in die Höhe, und ihr Gesicht verlor seine kindlichen Züge. Micail kam in den Stimmbruch, und auch er wurde groß. Als er fünfzehn war, trat seine Ähnlichkeit mit Micon noch stärker hervor - die dunkelblauen Augen waren genauso scharf und klar, das Gesicht und der schlanke Körper von der gleichen Intelligenz und Rastlosigkeit beseelt...
Von Zeit zu Zeit luden Micons Vater, Fürst Mikantor, Regent der See-Königreiche, und seine zweite Frau, die Mutter Reio-tas, Micail für ein paar Tage zu sich ein, und oft sprachen sie davon, dass ihr Enkel als Erbe von Ahtarrath bei ihnen im Palast wohnen müsse.
»Es ist unser Recht«, sagte der alternde Mikantor immer wieder. »Er ist Micons Sohn und muss erzogen werden, wie es seinem Rang entspricht - nicht unter lauter Frauen! Natürlich möchte ich damit nicht herabsetzen, was du für ihn getan hast. Reio-tas Tochter hat ebenfalls ihren Platz und Rang bei uns.« Mikantors Augen ruhten dann immer mit geduldiger, kummervoller Zuneigung auf Domaris. Auch sie hätte er gern als geliebte Tochter aufgenommen, doch ihre Reserviertheit ihm gegenüber war nie geringer geworden.
Bei all diesen Gelegenheiten räumte Domaris mit ruhiger Würde ein, dass Mikantor recht habe und Micons Sohn in der Tat Erbe von Ahtarrath sei - aber ebenso ihr Sohn. »Er wird erzogen, wie sein Vater es gewünscht hätte,
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