Das Licht Von Atlantis
Micons eifriger Frage: »Wie sieht sie aus?«
»Wunderschön«, antwortete Rajasta, und sein Blick verweilte auf seiner Akoluthin. »In makelloses Weiß gekleidet und mit ihrem flammenden Haar gekrönt wie mit Licht.«
Tatsächlich hatte Domaris nie schöner ausgesehen. Das schimmernde Gewand verlieh ihr eine Anmut und eine Würde, die neu an ihr waren und doch völlig zu ihr gehörten, und ihre deutlich sichtbare Schwangerschaft entstellte sie keineswegs. Ihre Erscheinung verbreitete einen solchen Glanz, dass Rajasta murmelte: »Ja, Micon, in der Tat lichtgekrönt.«
Der Atlanter seufzte. »Wenn ich sie nur ein einziges Mal sehen könnte!« Rajasta berührte teilnahmsvoll seinen Arm. Es blieb ihnen keine Zeit weiterzusprechen, denn Domaris war vorgetreten und kniete vor dem erhöhten Sitz der Wächter.
Am Fuß des Altars stand Ragamon, der Älteste, ein grauer Greis, aber immer noch aufrecht und von gelassener Würde. Er streckte die Hände aus und segnete die kniende Frau. »Isarma, Priesterin des Lichts, Akoluthin des Heiligen Tempels - Isarma, Tochter Talkannons, dem Licht und dem Leben, das Licht ist, durch dein Gelübde angehörend, schwörst du bei dem Vater des Lichts und der Mutter des Lebens, die Mächte von Leben und Licht stets zu unterstützen?« Die dünne, beinahe zittrige Stimme des alten Wächters hatte immer noch so viel Kraft, dass sie an den Wänden des in den Fels gehauenen Raumes widerhallte, und seine alten Augen, die das zu ihm erhobene Gesicht der weißgekleideten Frau betrachteten, blickten klar und scharf. »Schwörst du, Isarma, dass du nichts scheuen wirst, um das Licht, den Tempel des Lichts und das Leben des Tempels zu bewachen?«
»Das schwöre ich«, sagte sie und streckte ihre Hände dem Altar entgegen. In diesem Augenblick durchdrang ein einziger Sonnenstrahl die Finsternis und entzündete ein pulsierendes goldenes Licht auf dem Altar. Sogar Rajasta war von diesem Teil des Rituals immer wieder beeindruckt - obwohl er wusste, dass ein einfacher Hebel, von Cadamiri bedient, Wasser durch die Röhre laufen ließ, das das Gleichgewicht dieser Röhre veränderte und ein System von Rollen in Bewegung setzte, wodurch eine winzige Öffnung genau über dem Altar entstand. Es war eine Täuschung, aber eine sinnvolle: Diejenigen, die den Eid aufrichtig ablegten, fühlten sich durch den Sonnenstrahl erhoben. Doch wenn dort jemand kniete und einen falschen Eid schwor, wurde er von Entsetzen gepackt. Dieser Trick hatte die Wächter schon mehr als einmal vor einem unerwünschten Eindringling geschützt...
Domaris legte mit glühendem und ehrfürchtigem Gesicht die Hände aufs Herz. »Beim Licht, beim Leben schwöre ich es«, sagte sie noch einmal.
»Sei wachsam und gerecht«, beschwor der Alte sie. »Schwöre es jetzt nicht nur bei dir alleine, nicht nur bei dem Licht in dir und über dir, sondern auch bei dem Leben, das du trägst. Erkläre das Kind in deinem Leib zum Unterpfand dafür, dass du dein Amt nicht leichtfertig versiehst.«
Domaris erhob sich. Ihr Gesicht war blass und ernst, aber ihre Stimme zögerte nicht. »Ich erkläre das Kind meines Leibes zum Unterpfand meiner Treue.« Ihre beiden Hände legte sie um ihren Leib, dann streckte sie die Arme wieder dem Altar entgegen, als bringe sie dem dort spielenden Licht ein Opfer dar.
Micon zuckte nervös zusammen. »Das gefällt mir nicht«, raunte er.
»Dies Gelübde ist Brauch«, versicherte Rajasta ihm leise.
»Ich weiß, aber -« Micon krümmte sich wie im Schmerz und verstummte.
Der alte Wächter ergriff von neuem das Wort. »Dann, meine Tochter, sei dies dein.« Auf sein Zeichen hin wurde der jungen Frau ein goldener Mantel um die Schultern gelegt, ein goldener Stab und ein Dolch mit goldenem Griff wurden ihr in die gefalteten Hände gesteckt. »Benutze diese Dinge mit Gerechtigkeit. Mein Mantel, mein Stab, mein Dolch gehen auf dich über. Bestrafe, verschone, schlage oder belohne, vor allem aber: wache! Denn die Dunkelheit versucht ständig, das Licht zu verschlingen.« Ragamon trat vor und berührte ihre Hände. »Meine Bürde auf dich.« Er berührte ihre vorgebeugten Schultern, und sie richtete sich auf. »Auf dich das Siegel des Schweigens.« Er zog die Kapuze des Mantels über ihren Kopf. »Nun bist du Wächter.« Mit einer letzten segnenden Geste entfernte er sich von der Estrade und ließ Domaris auf dem Platz mitten vor dem Altar allein. »Lebe wohl.«
13. DER CHELA
Der Garten war trocken, Blätter raschelten unter
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