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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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fahlgrüner Färbung bis hin zu schwärzlichen Rändern um die Augen reichten. Gegen Nachmittag, wenn die Sonne dem Horizont entgegensank und die Stunde sich näherte, da das Luftschiff landen würde, besserte sich sein Befinden merklich, und hin und wieder war auch ein Lächeln auf seinen ausgemergelten Zügen zu sehen. Am Morgen jedoch, wenn die Reise weiterging und die ›Kamal‹ sich wieder in luftige Höhen schwang, pflegte Hingis den Eindruck eines Todkranken zu vermitteln, dessen Tage auf Erden gezählt waren.
    Hieronymos hingegen schien seit dem Tag der Abreise von einer seltsamen Melancholie erfüllt. Er sagte kaum ein Wort und beteiligte sich nicht an den Gesprächen der anderen, und wenn Sarah ihn etwas fragte, so fielen seine Antworten einsilbig aus. Gewöhnlich verbrachte er die Tage damit, an dem ihm zugewiesenen Platz an der Backbordseite der Gondel zu stehen und nach Osten zu blicken, wo er das ferne Ziel der Reise wusste. Was ihm dabei durch den Kopf ging, war unmöglich zu erraten, und er vertraute sich auch Sarah nicht an, wohl weil sie seit dem Tag des Abflugs keinen Augenblick mehr ungestört waren.
    Tagsüber sorgte die drückende Enge an Bord der Gondel dafür, dass kein Wort gewechselt werden konnte, ohne dass Abramowitsch es erfuhr, nachts war es Igor, der wie ein Schatten um das Lager schlich und seine Ohren überall zu haben schien. Obwohl sich der Mann von der Ochrana alle Mühe gab, den Anschein zu erwecken, als wäre alles in bester Ordnung, war das Misstrauen zwischen den beiden Teilen der Besatzung beinahe körperlich zu spüren. Einzig Balakow schien davon ausgenommen. Dem Kapitän schien es vor allem darum zu gehen, das Luftschiff auf seiner Jungfernfahrt sicher und zuverlässig zu steuern.
    Zu Beginn der Reise hätte Sarah es nicht für möglich gehalten, aber bereits am vierten Tag begann sich das Auge an fernen Bergen, grünen Wäldern und braun gefleckten Steppen sattzusehen, die unter ihnen vorbeizogen und in die hin und wieder einzelne Siedlungen gestreut waren. Obschon die ›Kamal‹ mit größerer Geschwindigkeit reiste als jedes andere Fortbewegungsmittel, kam es Sarah angesichts der ungeheuren Strecke so vor, als rührten sie sich kaum von der Stelle. Das Gefühl von Freiheit, das sie am Tag der Abreise verspürte hatte, verflog und machte Ernüchterung Platz, und Sarah musste feststellen, dass die Stunden des Tages, in denen sie zwischen den Wolken hingen und infolge von Abramowitschs fortwährender Beobachtung kaum etwas anderes tun konnten, als den eigenen Gedanken nachzuhängen, immer länger wurden.
    Auf den ersten drei Etappen der Reise, die von Sewastopol nach Kerc, von dort nach Soci und schließlich ans östliche Ende des Schwarzen Meeres nach Poti führte, legte das Luftschiff infolge des beständigen Ostwinds eine Strecke von etwas mehr als vierhundert Meilen zurück. An den Ausläufern des südlichen Kaukasus entlang ging es nach Tiflis, durch die zerklüftete Landschaft Aserbaidschans nach Ganžă und von dort nach Baki. Es war das erste Mal, dass Sarah das Kaspische Meer zu sehen bekam, aber aus der Luft betrachtet, wirkte es unerreichbar und auf seltsame Weise unwirklich. Caelum non animum mutant, qui trans mare currunt 26 hatte schon der römische Dichter Horaz von den Seefahrern behauptet - für jene, die durch die Lüfte reisten, schien dasselbe zu gelten.
    Erst wenn das Luftschiff zurück zur Erde sank und die Passagiere die Gondel verließen, um die Nacht am Boden zu verbringen, gewann die Umgebung wieder reale Bedeutung. Dann hatte Sarah das Gefühl, ihrem geliebten Kamal wieder ein wenig näher zu sein, auch wenn es womöglich nur eine Selbsttäuschung war.
    Wie an jedem Abend gab es auch nach der Landung am Meer ein Nachtmahl, das Ufuk zubereitete; da man in Baki Vorräte fassen konnte, fiel es an diesem Abend deutlich umfangreicher aus als an den Tagen zuvor, und so gab es statt der gewohnten Ration Reis diesmal Käse und Feigen und sogar Hammelfleisch zu essen.
    Da Balakow das Risiko, die Kaspische See direkt zu überqueren, als zu hoch einstufte, folgte die weitere Route dem Verlauf der Küste. Die nächsten Stationen waren Astara, Rast, Calus und schließlich Gorgan. Über die südlichen Steppen Turkmeniens hinweg, der Heimat des jungen Ufuk, ging es weiter gen Osten, ehe am zwölften Tag der Reise in der Ferne die gezackten, weiß gekrönten Zinnen der Berge auftauchten. Im Lauf der nächsten acht Tage arbeitete sich das Luftschiff weiter voran

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