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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Hauptkorridor fiel. Kamal blieb stehen und presste sich eng an die kalte, aus groben Natursteinen zusammengefügte Wand.
    Der Schatten wurde zunächst länger und dann wieder kürzer - ohne Zweifel ein Posten, der auf dem Nebengang patrouillierte!
    Kamal stieß eine Verwünschung aus. Er erwog umzukehren, konnte sich aber nicht dazu entschließen. Er war gekommen, um Antworten zu erhalten, eher würde er nicht weichen.
    Fieberhaft überlegte er, wie er den Posten überlisten konnte, um ungesehen an ihm vorbeizukommen - als er ein hässliches Gefühl in seiner Magengrube verspürte. Ein eisiger Schauder schüttelte ihn und überzog seinen Rücken mit einer Gänsehaut. Kamal fuhr herum, nur um sich einer dunklen, riesigen Gestalt gegenüberzusehen, die ihm lautlos gefolgt zu sein schien.
    Der Fremde war groß, an die acht Fuß, und mit einem weiten Umhang bekleidet, der ihn nur noch eindrucksvoller erscheinen ließ. Die Kapuze trug er tief herabgezogen, sodass sein Gesicht zunächst nicht zu sehen war. Als er sich jedoch vorbeugte, erfasste der Fackelschein die Züge des Hünen und riss sie aus der Dunkelheit.
    Kamal sog scharf die Luft ein. Jähes Entsetzen ließ ihn wanken, als wäre er von einem Fausthieb getroffen. Denn in den entstellten Zügen des Riesen klaffte nur ein einziges Auge ...

2.
     
    Mit einem Aufschrei des Entsetzens schreckte Sarah aus dem Schlaf.
    Ihr war gewesen, als starrte ein riesiges Auge auf sie. Fast überrascht stellte sie fest, dass sie sich noch immer in jener Kammer im Kloster von Tirthapuri befand. Wiederum wusste sie nicht, wie viel Zeit verstrichen war, aber ein Gefühl sagte ihr, dass es diesmal sehr viel weniger war, denn der Himmel hinter dem vergitterten Fenster hatte sich gegenüber dem letzten Erwachen kaum verändert.
    Erneut sah sie sich den milden Gesichtszügen von Abt Ston-Pa gegenüber. Diesmal war er allerdings nicht allein. Eine zweite Gestalt saß bei ihm, deren Konturen sich erst nach und nach aus den Schleiern der Dunkelheit schälten. Sarah zuckte zusammen, als sie Ufuk erkannte, denn die Anwesenheit des Jungen rief ihr den Verlust von el-Hakim schmerzlich in Erinnerung. Seltsamerweise sah Ammons Diener jedoch in keiner Weise bekümmert aus, sondern schien im Gegenteil von einer Ruhe und Gelassenheit erfüllt, die jener des Abts in nichts nachzustehen schien.
    »Ufuk«, stieß Sarah hervor, während sie sich aufrichtete, die Felldecke an sich pressend. Anders als beim ersten Versuch waren die Kopfschmerzen diesmal zu ertragen. »Was ist geschehen?«
    »Sie haben erneut das Bewusstsein verloren«, erklärte Ston-Pa anstelle des Jungen. »Der Schmerz und die Erschöpfung ...«
    »Ja«, sagte Sarah nur. Noch immer war ihr zum Weinen zumute, aber sie tat es nicht, denn es kam ihr falsch und egoistisch vor. Wenn ihr Ammons Tod nahe ging, um wie viel mehr musste dann Ufuk trauern, der nicht nur einen Freund, sondern auch seinen Vaterersatz und Lehrer verloren hatte. Und niemand anderer als sie trug Schuld daran! Hätte sie Ammons Ersuchen, sie auf der Expedition zu begleiten, nicht nachgegeben - damals, in jener Märznacht, die eine Ewigkeit zurückzuliegen schien - so wäre er fraglos noch am Leben gewesen.
    »Es tut mir leid, Ufuk«, flüsterte sie deshalb. »Unendlich leid ...«
    »Das muss es nicht«, versicherte der Junge kopfschüttelnd.
    »Aber ...«
    »Auf Ihren Reisen, Lady Kincaid«, sagte Abt Ston-Pa, »sollten Sie längst die Erfahrung gemacht haben, dass im Universum nichts verloren geht. Unsere Körper mögen vergänglich sein, der Geist jedoch ist unsterblich und bleibt erhalten.«
    »Natürlich«, sagte Sarah, aber es war nicht mehr als ein Lippenbekenntnis, denn die Erfahrungen der Vergangenheit hatten sie mehr als einmal an der universellen Ordnung zweifeln lassen.
    »Der Abt spricht die Wahrheit«, beteuerte Ufuk, an dessen Stimme Sarah im Vergleich zu früher eine Veränderung wahrzunehmen glaubte. Der junge Turkmene war seinem Alter an Besonnenheit und Tugend ohnehin stets weit voraus gewesen; neuerdings jedoch sprach er auch noch mit unerschütterlicher Überzeugung. »Nur die sterbliche Hülle von Meister Ammon ist von uns gegangen, sein Geist jedoch lebt in mir fort.«
    »Ich weiß.« Sarah nickte. »So, wie er in mir fortlebt und in jedem anderen, dem er seine Weisheit ...«
    »Lady Kincaid«, sagte der Junge vorsichtig, »ich fürchte, Sie verstehen nicht. Ich bin Meister Ammon!«
    Sarah erschrak, aber sie gab sich alle Mühe, es sich nicht

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