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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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anmerken zu lassen. Ganz offenbar waren die Strapazen der Reise und zuletzt noch der Tod seines Meisters zu viel für den armen Jungen gewesen.
    »Sie glauben mir nicht«, stellte Ufuk fest. Die Enttäuschung war ihm deutlich anzusehen. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und seine Wangen blähten sich, aber schon im nächsten Moment hellten sich seine Züge wieder auf. »Erinnern Sie sich an Kesh?«, erkundigte er sich dann. »Meinen Vorgänger, der Meister Ammon in Kairo diente?«
    »Natürlich erinnere ich mich an ihn«, versicherte Sarah, »aber ich sehe nicht, was das ...«
    »Ich erinnere mich ebenfalls an ihn«, erklärte der Junge schlicht.
    »Du?« Sarah schaute ihn verständnislos an. »Das ist unmöglich, denn du hast Kesh niemals kennengelernt! Er starb, lange bevor el-Hakim nach Stambul kam.«
    »Dennoch erinnere ich mich an ihn, als ob er mein Bruder gewesen wäre«, beharrte Ufuk. »Ich weiß alles über ihn. Als Sie noch Kinder waren, hat er Sie oft an den Zöpfen gezogen.«
    »Das ist wahr.« Die Erinnerung ließ ein Lächeln über Sarahs Züge gleiten, das jedoch sofort wieder verschwand.
    »... und er war heimlich in Sie verliebt«, fügte der Junge hinzu, »auch wenn er es Ihnen nie gesagt hat.«
    Sarahs Gesicht nahm einen tadelnden Ausdruck an. »Mit derlei Dingen spaßt man nicht, Ufuk«, wies sie den Diener zurecht. »Hat el-Hakim dir das nicht beigebracht?«
    »Nein, Mylady. Aber er lehrte mich, immer die Wahrheit zu sagen und sie als das höchste Gut zu betrachten. Deshalb würde ich Sie niemals belügen.«
    »Warum denkst du dir dann solche Dinge aus?«, fragte Sarah schon weniger streng. Der Junge tat ihr leid. Sicher war er überzeugt, die Wahrheit zu sagen, aber ganz offensichtlich hatte sein Verstand die Grenzen der Vernunft überschritten.
    »Aber das tue ich nicht«, versicherte er mit großen Augen. »Glauben Sie mir, ich kenne Kesh nicht weniger gut als Sie.«
    »Unsinn! Du warst doch gerade erst geboren, als ...«
    »Meister Ammon kannte ihn«, erklärte Ufuk. »Das genügt. Sein Wissen ist auch mein Wissen, nichts davon ist verloren. Ich erinnere mich an Ihre erste Begegnung mit el-Hakim ebenso, wie ich mich an den Unfall erinnere, den Sie hatten, als Sie mit Ihrem Vater die Pyramiden erkundeten.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Sarah verblüfft. Sie selbst hatte diese Dinge, die rund eineinhalb Jahrzehnte zurücklagen, schon fast vergessen. Sollte el-Hakim seinem Schüler all diese Nichtigkeiten erzählt haben? Und wenn ja, warum?
    »Weil es hier ist«, erwiderte der Junge und tippte sich dabei an die Schläfe, »und hier«, fügte er hinzu und legte die Hand auf die Brust. »Der Geist von el-Hakim ist in mir, Lady Kincaid, sein gesamtes Wissen und seine Erfahrungen.«
    »D-das ist unmöglich«, beharrte Sarah und starrte ihn fassungslos an, während ihr Herz allmählich zu begreifen begann. Genau wie el-Hakim es stets gefordert hatte.
    »Du verlangst einen Beweis?«, fragte Ufuk und wechselte in die arabische Sprache, wobei seine Stimme einen vertraulichen Tonfall annahm. »In jener Nacht vor unserer Abreise hast du mir von deinen verborgenen Ängsten berichtet. Du hast mir von Mortimer Laydon erzählt und von Gardiner Kincaid, und ich habe dir gesagt, dass dieser nicht dein leiblicher Vater gewesen ist ...«
    Für einen Augenblick war Sarah stumm vor Staunen.
    Ammon mochte Ufuk umfangreiches Wissen vermittelt und ihm manches Geheimnis anvertraut haben - aber ganz sicher hatte er dem Jungen nichts von Sarahs Ängsten und Befürchtungen erzählt. Die abwegige, geradezu abenteuerlich anmutende Vermutung, die sie insgeheim hegte, musste also zutreffen ...
    »M-Meister?«, fragte sie zögernd und kaum hörbar.
    »Was von ihm geblieben ist«, bestätigte Ufuk leise. »Der Schatz seiner Erfahrungen, gesammelt in einem neuen Körper. Meinem Körper ...«
    »Aber so etwas ist unmöglich.« Sie schüttelte beharrlich den Kopf. »Es kann nicht sein ...«
    »Lady Kincaid«, sagte Abt Ston-Pa sanft, »denken Sie nicht, dass es an der Zeit ist, die alten Vorurteile zu überwinden und Ihr Denken in neue Bahnen zu lenken? Hier in Tibet ist manches Wirklichkeit, was im fernen Okzident unmöglich erscheinen mag, denn unser Geist ist offen für die Mysterien und nicht der bloßen Materie verhaftet.«
    Sarah hörte ihn reden, aber sie verstand kein Wort. Die Tränen waren in ihre Augen zurückgekehrt, aber diesmal unternahm sie nichts, um sie zurückzuhalten. Sie streckte die bebende Hand

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