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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Wirklichkeit.
    Wie zuvor sah sie sich einem Mann gegenüber - aber es war nicht Gardiner Kincaid.
    Gelassen saß er auf einem schlichten Hocker und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Gekleidet war er in einen tibetischen bukoo aus gelber Wolle, sein Haupt war kahl. Seine schmalen Gesichtszüge waren unverkennbar die eines Bergbewohners, mit dunklem Teint und schmalen, fast schwarzen Augen, die sie durchdringend anblickten.
    Obwohl Sarah den Mann noch nie zuvor gesehen hatte, erschrak sie nicht, denn sowohl sein Gesicht als auch seine Körperhaltung entbehrten jeder Bedrohung und strahlten genau jenen inneren Frieden aus, den sie eben noch selbst empfunden hatte.
    Vor ihrem Erwachen ...
    »Wo ...?«, wollte Sarah fragen, aber sie brachte nicht mehr als ein heiseres Krächzen zustande.
    »In Sicherheit«, antwortete der Fremde, dessen Alter sich unmöglich schätzen ließ, in gutem Englisch.
    »Wie ...?«
    »Wir haben Sie gefunden. Vor acht Tagen ...«
    Sarah erschrak. Acht Tage!
    Deshalb also fühlte sie sich so erholt und ausgeruht. Sie war acht Tage lang ohne Bewusstsein gewesen! Und dieser Fremde hatte sich offenbar um sie gekümmert.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    Sarah versuchte ein Nicken. Sie lag auf einer hölzernen Pritsche und trug ein Gewand aus grober Wolle auf nackter Haut. Eine Decke aus zottigem Fell, das wohl von einem Yak stammte und entsprechend streng roch, war über sie gebreitet.
    »Sie hatten Fieber«, erklärte der Fremde. »Und Sie haben im Schlaf gesprochen ...«
    Sarah rieb sich die schmerzenden Schläfen. Für einen Moment fragte sie sich, ob es tatsächlich Gardiner Kincaid gewesen war, mit dem sie sich im Traum unterhalten hatte, oder nicht vielmehr jener Fremde. Aber natürlich war das Unsinn, sie war lediglich benommen von ihrer langen Bewusstlosigkeit.
    »Wer ...?«, wollte sie wissen.
    »Mein Name ist Ston-Pa, was in Ihre Sprache übersetzt ›Lehrer‹ bedeutet. Ich bin der Abt des Klosters von Tirthapuri.«
    Mönche, dachte Sarah erleichtert, Anhänger Buddhas ...
    Erst jetzt nahm sie den Geruch von Räucherstäbchen wahr, der in der kalten Luft schwebte. Sie schaute sich um und stellte fest, dass sie sich in einer schlichten Kammer befand, deren Decke von dicken Holzbalken getragen wurde. Anstatt eines Fensters gab es nur eine schmale, glaslose Öffnung, die vergittert war und hinter der sie grauen Himmel sah. Die Tür bestand aus dunklem Holz, ihr gegenüber hing ein Stoffgemälde an der Wand, das mit exotischen Schriftzeichen beschrieben war.
    »W-wo liegt Tirthapuri?«, wollte Sarah wissen. »Soweit ich weiß, gibt es kein Kloster am Shipki-Pass ...«
    »Das ist richtig«, räumte der Abt ein. »Sie befinden sich viele Meilen weiter östlich, an den Ausläufern des heiligen Berges Kailash. So weit hat der Sturmwind Sie getragen, geradewegs über die Berge, die nur des Vogels Flug übersteigt.«
    »Was?« Die bekannten Worte ließen Sarah von ihrem Lager hochfahren. »Was haben Sie gerade gesagt?«
    »So pflegen wir den Gharwal Himal zu nennen«, eröffnete Ston-Pa. »Warum fragen Sie?«
    Sarah antwortete nicht. Ihr Schädel brummte wie ein Bienenstock, sodass sie sich gleich wieder hinlegen musste. »I-ich danke Euch«, flüsterte sie, während sie sich einmal mehr die Schläfen massierte.
    »Den Menschen zu dienen ist unsere Pflicht.« Zum ersten Mal erblickte Sarah ein Lächeln auf den asketischen Zügen des Mönchs. »Allerdings sollten Sie die Natur nicht noch einmal herausfordern, Lady Kincaid. Hätte es in der Absicht der Schöpfung gelegen, dass wir fliegen, so hätte sie uns Flügel verliehen.«
    »I-Ihr kennt meinen Namen?«
    »Natürlich.«
    »Woher?«
    »Ihr unerschrockener Begleiter hat mir davon erzählt.«
    »Mein Begleiter?« Sarah schämte sich dafür, dass sie erst jetzt an ihre Kameraden dachte. »Von wem sprecht Ihr? Hingis?«
    »Seinen Namen vermag meine Zunge nicht auszusprechen«, gestand der Abt, »aber in der Sprache meines Volkes nennen wir ihn Mig-shár, das bedeutet ›der mit einem Auge‹.«
    »Hieronymos.« Sarah atmete auf. Sie war also nicht die Einzige, die den Absturz des Luftschiffs (oder vielmehr seiner Überreste) überlebt hatte. »Und wie geht es den anderen?«
    »Ein Mann mit Namen Yngus hat eine Wunde am Kopf davongetragen, aber gestern ist auch er aus seiner Ohnmacht erwacht. Und wir haben einen Jungen gerettet.«
    »Ufuk.« Sarah nickte. Ammons Diener und Friedrich Hingis schienen also ebenfalls noch am Leben zu sein, auch wenn der

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