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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Metzgergeselle, der den Karren zog, in einen Seitengang ab, und Hingis hatte freies Feld. Wieselflink stieß er in die entstandene Bresche vor und holte auf, sodass ihn nur noch wenige Armlängen von der Freundin trennten.
    »Sarah!«, rief er abermals. »Sarah ...!«
    Abermals hörte sie nicht auf ihn. Hingis beschleunigte seinen Schritt - um im nächsten Moment gegen einen hochgewachsenen Anatolier zu prallen. Indem er seinen Stock, den er als Gentleman stets bei sich zu tragen pflegte, geschickt als Werkzeug einsetzte, hebelte sich der Schweizer den Weg frei - und sah gerade noch, wie Sarah in eine Nebengasse des Basars abbog. Da dieser weniger frequentiert war als der Hauptweg, gelang es Hingis, mit wuselnden Schritten zu ihr aufzuschließen.
    »Ich muss doch sehr bitten«, stieß er keuchend hervor.
    »Was meinst du?«, fragte Sarah, dabei geradeaus starrend, um den jungen Ufuk, der ihnen ein gutes Stück voraus war, im Blick zu behalten. Angesichts seiner osmanischen Kleidung grenzte es ohnehin an ein Wunder, dass sie ihn nicht längst aus den Augen verloren hatte.
    »Du handelst eigensinnig«, warf Hingis ihr zwischen geräuschvollen Atemzügen vor. »Du bist impulsiv und wütend und schlägst Menschen ohne erkennbaren Grund.«
    »Ich weiß«, erwiderte sie beiläufig und machte damit klar, dass der junge Türke sie wesentlich mehr interessierte als das Lamento des Schweizers.
    »Du musst aufpassen«, fuhr er dennoch fort.
    »Worauf?«
    »Du weißt, dass du gelegentlich dazu neigst, dich in Dinge zu verrennen, Sarah«, brachte Hingis in Erinnerung. »Lass es nicht enden wie damals, als ich dich vergeblich warnte und du ...«
    Abrupt blieb sie stehen, schaute ihm streng ins Gesicht. »Das hat nichts mit dem hier zu tun«, stellte sie klar.
    »Da wäre ich mir nicht so sicher«, konterte er. »Auch damals hast du geglaubt, Kamal retten zu können, indem du alle Vorsicht in den Wind geschlagen hast. Und was ist dabei herausgekommen?«
    Die Brille auf seiner Nase hatte zu beben begonnen, wie sie es immer tat, wenn er sich über etwas echauffierte. Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, als würde Sarah etwas erwidern wollen, aber sie besann sich anders und wollte die Verfolgung fortsetzen. Ufuk jedoch war verschwunden.
    »Wo ist er hin?«, fragte sie und blickte suchend die Ladengasse hinab, zu deren Seiten Keramik aus Kutahia, Kacheln aus Nikaia, Steingut aus Thrakien und chinesisches Porzellan zum Kauf angeboten wurden - nur von dem jungen Türken war nichts mehr zu sehen.
    »Verschwunden«, sagte Hingis leise.
    »Verdammt.«
    »Oh, Sarah, das tut mir leid«, versicherte der Schweizer. »Das wollte ich nicht, ich ...«
    »Schon gut«, knurrte sie und eilte weiter, vorbei an kunstvollen Vasen und blauweiß glasierten Fliesen. Das Ende der Gasse bildete eine Ladenfassade aus dunklem Zedernholz. Der Eingang wurde von einem dunklen Vorhang verschlossen, kafesler 7 verhinderten den Blick durch die schmalen Fenster. »Dort hinein muss er gegangen sein«, meinte sie überzeugt.
    »Und?«, fragte er atemlos. »Was willst du tun? Ihn an den Ohren herauszerren und mit vorgehaltener Waffe zwingen, uns zu seinem Meister zu führen?«
    »Wenn es sein muss.«
    »Nimm Vernunft an, Sarah! Wir sind nicht so weit gekommen, um jetzt alles zu gefährden ...«
    »So weit gekommen?« Sie schaute ihn durchdringend an. »Wie weit sind wir denn gekommen, Friedrich? Ganz abgesehen davon, dass wir eine Niederlage nach der anderen, einen Verlust nach dem anderen hinnehmen mussten? Was haben wir gewonnen außer ein paar fragwürdigen Rätseln und Anspielungen?«
    »Nun, ich ...«
    »Ich will endlich Antworten«, stellte sie klar, »und ich will sie jetzt!« Und ohne ihrem Begleiter auch nur die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, schlug sie den Vorhang beiseite und betrat den Laden. Hingis folgte ihr, wenn auch nur unter Protest.
    Noch ehe sich ihre Augen an das spärliche Licht gewöhnt hatten, verrieten ihre Nasen ihnen bereits, wohin sie geraten waren. Der süßliche Geruch von Tabak, Minze und getrockneten Früchten tränkte die rauchgeschwängerte Luft, dazu war das charakteristische Blubbern zu hören, mit dem eine nargile ihren Betrieb zu untermalen pflegte. Ein bauchiges Gefäß stand neben dem anderen aufgereiht, dahinter saßen Männer auf bequemen Polstern und nippten den Rauch von den Mundstücken. Die entrückten Gesichter, die einige von ihnen machten, ließen darauf schließen, dass es nicht nur gewöhnlicher Tabak

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