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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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gebildet und von einem unbeugsamen Willen beseelt; dabei aber von kräftigerem Wuchs als die meisten Briten und auch nicht von jener zerbrechlichen Konstitution, die viele seiner Landsleute aufwiesen, sondern von einer erstaunlichen Zähigkeit, die selbst den bediensteten bhotia Respekt abnötigte. Auch auf Äußerlichkeiten schien er weniger Wert zu legen: In seinem Gesicht wucherte ein wahres Ungetüm von Bart, und seine Mütze und sein Mantel gewährten nicht nur ebenso vielen Flöhen Obdach wie jene der Einheimischen, sondern verströmten auch denselben strengen Geruch. Und anders als alle anderen Briten, die jemals den Shipki-La heraufgekommen waren, erwartete Gardiner Kincaid nicht, dass man die Zunge der Kolonialherren beherrschte, sondern war nach Kräften bemüht, sich in der Landessprache verständlich zu machen.
    »Dschi rygan-ring-po?«, erkundigte er sich bei dem yak-pa 49 , den er in Poo, auf der anderen Seite der Grenze, angeworben hatte.
    Nagapo, der Führer, von dem unter der riesigen Fellmütze mit den heruntergeklappten Ohrenschützern nur die schmalen Augen zu sehen waren, machte eine unbestimmte Handbewegung nach Osten. »Drei Tagesmärsche bis zur nächsten Siedlung«, rief er gegen den pfeifenden Wind. »Vier, wenn das schlechte Wetter anhält. Lha ggyalo!«
    Lha gyalo - wie oft hatte Gardiner diesen Spruch in den letzten Tagen gehört.
    Wörtlich übersetzt bedeutete er »Mögen die Götter siegen«, aber die Tibeter pflegten ihn auch ganz allgemein zu verwenden, wann immer sie ihrer guten Laune, einem Glückwunsch oder auch einfach nur ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen wollten - Beleg für ein instinktives, fast kindlich zu nennendes Urvertrauen, das den Menschen des Westens längst abhanden gekommen war, Gardiner jedoch tief beeindruckte. Womöglich, dachte er, würde auch er eines Tages so empfinden können, wenn er das Rätsel gelöst hatte ...
    Als sie eine jener Anhäufungen von Steinen passierten, mit denen die Tibeter den Berggöttern zu huldigen pflegten, scherte er aus der Karawane aus. Da der Boden vom Wind kahl gefegt war, brauchte er nicht lange nach einem Stein zu suchen, den er kurzerhand vom Boden aufhob und zu den anderen legte, wobei er eine Verbeugung andeutete; Nagapo und die meisten Treiber taten es ihm gleich.
    Natürlich hatte Gardiner in der vergleichsweise kurzen Zeit, die er nun in Asien weilte, nicht die hiesige Religion angenommen, und er glaubte auch nicht wirklich an die Existenz göttlicher Wesen im Himalaya. Aber zum einen hatte auch er schon erfahren, was Shakespeare seinen Hamlet sagen ließ - nämlich dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als sich die Schulweisheit erträumen ließ; und zum anderen wollte er sowohl diesem Land als auch den Menschen, die darin lebten, seinen Respekt erweisen.
    Tibet.
    Das verbotene Reich.
    Viel hatte Gardiner im Vorfeld seiner Reise über jene Region gehört, die von mehr Rätseln und Mysterien umgeben zu sein schien als jede andere. Das meiste davon waren Warnungen gewesen, Aufforderungen, die Grenze nicht zu überschreiten. Mal waren sie eindringlicher gewesen, mal weniger, aber ihnen allen war die Furcht anzumerken, die die sogenannte zivilisierte Welt vor dem zu haben schien, was jenseits der Berge lag. Gardiner hingegen war genau aus diesem Grund hierher gekommen. Er wollte Antworten.
    Seinen einheimischen Gefährten freilich hatte er nichts davon gesagt. Für sie war er vermutlich nur ein weiterer tschiling-pa, der seine Nase in Angelegenheiten steckte, von denen er nichts verstand. Immerhin bezahlte er sie gut und behandelte sie mit Freundlichkeit und Respekt, weshalb sie trotz des ungünstigen Wetters bei der Karawane geblieben waren.
    »Wird weiter schneien?«, erkundigte sich Gardiner bei Nagapo mit Blick auf den grauen Himmel, aus dem unablässig Myriaden feinster Flocken stürzten.
    »Kann sein«, entgegnete der Tibeter, »aber der Wind lässt nach, und schon morgen werden wir ins Tal absteigen und ...«
    Er unterbrach sich, als ein heller, peitschender Laut zu hören war, den der Wind von Nordosten herantrug und der schon deshalb nicht in das Mandala passte, das die Natur aus Stein und Schnee malte, weil er von Menschenhand verursacht worden war.
    Ein Schuss!
    Abrupt blieb Nagapo stehen. Er legte den Kopf in den Nacken, lauschte und schnupperte, als wäre er in der Lage, wie ein Tier Witterung aufzunehmen.
    »Banditen?«, fragte Gardiner, obwohl es ihm abwegig erschien, dass sich Wegelagerer bei diesem

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