Das Licht von Shambala
Wetter auf die Lauer legen sollten. Sicherheitshalber trat er an das Yak, das sein Gepäck trug, öffnete die lederne Scheide und zog die Winchester hervor, die ihm seit einer Reise in die Vereinigten Staaten wertvolle Dienste leistete.
»Nein«, entgegnete der Führer, als kein weiterer Schuss erklang, »vielleicht auch nur Pilger, die einen Schneeleoparden vertreiben. Gefährlich wegen ka-rud.«
Das letzte Wort kannte Gardiner nicht, sodass er nachfragen musste. »Ka-rud«, erklärte Nagapo daraufhin mit bekümmerter Miene, »ist, wenn Götter der Berge zürnen.«
Als wäre dies Erklärung genug, ging der Führer einfach weiter, und die Karawane setzte ihren Weg durch das Schneegestöber fort.
Allerdings nicht für lange.
Es waren noch keine zehn Minuten verstrichen, da erklang noch ein Schuss, näher diesmal, und es blieb nicht dabei. Ein weiterer Knall folgte, der von einer schweren Luntenschlossmuskete stammte, und ein gellender Schrei flog auf dem Wind heran.
»Ein Kampf«, stellte Gardiner fest. Noch immer hielt er sein Gewehr im Anschlag. Mit den Zähnen zerrte er den Fäustling von seiner rechten Hand, damit er den Abzug bedienen konnte, während er sich wachsam umblickte. »Was ist da los?«
»Es kam aus dieser Richtung«, meinte Nagapo überzeugt und deutete den Anstieg zur linken Wegseite hinauf.
»Du sicher? Hatte eher den Eindruck, als ob ...«
Erneut fielen Schüsse, aber Gardiner war nicht in der Lage, sie räumlich einzuordnen. Der Wind und der Schnee sorgten dafür, dass sie bald nah, dann wieder ganz fern zu sein und zudem noch aus verschiedenen Richtungen zu kommen schienen. Er beschloss, sich auf die Erfahrung seines Führers zu verlassen.
»De-na!«, rief Nagapo bestimmt und wies erneut auf den Hang.
»Dann komm mit«, knurrte Gardiner entschlossen. »Der Rest bleibt hier und wartet.«
Der yak-pa brauchte nur einen Moment, um den Bogen und den Köcher mit den dazugehörigen Pfeilen vom Rücken seines Bergponys zu lösen, dann war er schon zur Stelle. Im Laufschritt verließen sie die Straße und stiegen den Hang hinauf, wo der Schnee infolge der Verwehungen gleich sehr viel höher war. Ihre dicken Filzstiefel sanken ungehindert ein, und im Nu stand er ihnen bis zu den Knien. Doch die Schüsse, die auch weiterhin zu hören waren, jetzt begleitet von aufgeregtem Geschrei, trieben die beiden Männer zur Eile an. Ganz offenbar befand sich jemand in Bedrängnis.
Sie überwanden die erste Steigung und gelangten zu einer Kuppe, von der aus sie die Karawane wegen des dichten Schneefalls schon nicht mehr sehen konnten. Dafür erblickten sie ein Stück voraus, inmitten einer flachen Senke, einige schemenhafte Gestalten.
Zwei von ihnen rührten sich nicht mehr; reglos lagen sie im Schnee, und es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, dass sie von Kugeln ereilt worden waren; zwei weitere jedoch hielten sich noch aufrecht - eine große und eine sehr viel kleinere, die noch ein Kind sein mochte. Beide waren in dicke wollene Mäntel gehüllt und trugen Fellmützen. Die kleinere Gestalt drängte sich an die größere, die so etwas wie ein Schwert in den Händen zu halten schien. Gegen feindliche Kugeln bot die altertümliche Waffe allerdings keinen Schutz, und es war wohl nur den schlechten Sichtverhältnissen zu verdanken, dass noch nicht vier Leichen im Schnee lagen.
Für Gardiner stand fest, dass er handeln musste. Auch wenn er die genauen Gegebenheiten des Kampfes, der dort im Schneesturm vor sich ging, nicht kannte, schien ihm die Kräfteverteilung doch dermaßen ungleich verteilt, dass es sowohl als Gentleman als auch als Christenmensch seine Pflicht war einzugreifen.
»Los!«, befahl er kurzerhand und beschleunigte seine Schritte. Durch den kniehohen Schnee watete er auf die beiden Gestalten zu, Nagapo folgte ihm, einen Pfeil auf der Bogensehne.
Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten schälten sich aus der nebligen Szenerie. Gardiner erkannte, dass die kleinere der beiden Gestalten tatsächlich ein Kind war, die größere ein wahrer Hüne, dessen blitzende Klinge die Form einer Sichel hatte. Und plötzlich waren auch die Angreifer zu sehen!
Schemenhaft tauchten sie aus der weißen Wand auf, schwärzliche, vermummte Schatten, die mit Gewehren bewaffnet waren und davon rücksichtslos Gebrauch machten. Wieder krachte ein Schuss. Der Hüne, der sich schützend über das Kind beugte, zuckte zusammen, blieb jedoch aufrecht stehen.
Gardiner stieß eine Verwünschung aus.
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