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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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getrieben und schließlich hierher geführt hatte, fand er endlich eine Bestätigung für die wilden Vermutungen, die er angestellt, und für die abenteuerlichen Thesen, die er formuliert hatte - und alles nur, um zu ergründen, was er damals gesehen hatte, in jener kalten Novembernacht auf der Krim, ehe das Schlachten begonnen hatte.
    »Sie ... Sie wissen, wer ich bin?«, stieß der Zyklop hervor, der zu Gardiners Überraschung die englische Sprache fließend beherrschte, wenn auch mit einem Akzent, der sich keiner bekannten Sprache zuordnen ließ.
    »Allerdings.« Gardiner nickte. »Sie sind ein Arimaspe, ein Nachkomme der Wächter, die einst den Weltenberg hüteten ...«
    »Das genügt.« Der Einäugige hustete, seine Gesichtszüge verzerrten sich. Gardiner konnte sehen, dass sich sein Umhang unterhalb der linken Schulter dunkel verfärbt hatte. Er schien Schmerzen zu leiden, aber kein Laut der Klage kam über seine Lippen. »Danke ... für Ihre Hilfe ...«
    »Keine Ursache.« Gardiner schüttelte den Kopf. »Sie sollten nicht sprechen, das kostet nur unnötig Kraft. Können Sie gehen? Dann bringe ich Sie von hier fort.«
    »Nein«, wehrte der Einäugige ab. »Das hätte keinen Sinn. Sie würden uns folgen.«
    »Wer?
    »Das Eine Auge ... Es sieht uns überall.«
    Gardiner wusste nicht, was der Hüne meinte - vermutlich war er bereits im Delirium und redete wirr. Der Archäologe richtete sich auf und bedachte die Leichen, die rings im Schnee lagen, mit einem prüfenden Blick. Nagapo stand etwas abseits und schaute nach den Männern, die von seinen Pfeilen niedergestreckt worden waren. Ganz offenbar kam für sie jedoch jede Hilfe zu spät.
    »Wer waren diese Kerle?«, wollte Gardiner wissen. »Banditen?«
    »Diener des Bösen«, entgegnete der Zyklop. »Es werden noch mehr von ihnen kommen.«
    »Dann sollten wir verschwinden.«
    »Ich nicht, nur Sie«, widersprach der Einäugige. »Und Sie nehmen das Mädchen mit.«
    »Was?« Gardiner glaubte, nicht recht zu hören.
    »Nein!«, rief die Kleine, deren Alter Gardiner auf sechs oder sieben Jahre schätzte. Auch sie sprach fließend Englisch, es schien ihre Muttersprache zu sein. »Polyphemos, bitte nicht!«, flehte sie. »Verlass mich nicht!«
    »Das tue ich nicht«, versicherte der Riese. »Ich werde immer bei dir sein, Sarah, auf die ein oder andere Art ...«
    »Aber du darfst nicht sterben, hörst du?«, schluchzte sie und warf sich an ihn, klammerte sich mit ihren kurzen Armen an seine mächtige Gestalt. »Du hast geschworen, mich zu beschützen.«
    »Und das werde ich auch«, erwiderte der Einäugige, der auf denselben Namen zu hören schien wie der Zyklop in Homers »Odyssee«. Unwillkürlich fragte sich Gardiner, ob dies sein richtiger Name war oder ob er ihn um des Kindes willen angenommen hatte, das ihn aufrichtig zu lieben schien. »Ich werde bei dir sein, Sarah. Und wir werden uns wiedersehen, das verspreche ich.«
    Sie antwortete nicht, sondern weinte ungehemmt, während sie ihr Gesicht an seiner blutigen Schulter vergrub. Sanft, aber bestimmt ergriff Polyphemos ihre Arme, zog sie von sich weg und schob sie Gardiner Kincaid entgegen.
    »Hier, Herr ... Nehmen Sie sie mit und sorgen Sie gut für sie ... Sie hat niemanden sonst.«
    »A-aber ich ...«
    »Bitte, Herr. Sie ist etwas Besonderes ...«
    »Etwas Besonderes?«
    »Die Hoffnungen der Menschheit ruhen auf ihr, eines Tages ... Sie ist die Erbin, die Hüterin des letzten Geheimnisses ...«
    Gardiner konnte nicht behaupten, auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was der Zyklop ihm erzählte. Aber die Art und Weise, wie es der Einäugige sagte, ließ keinen Zweifel daran, dass es ihm damit ernst war. Obschon er sich als Archäologe der Wissenschaft verpflichtet fühlte, konnte Gardiner nicht anders, als ihm zu glauben. Aber es lag nicht nur an der Eindringlichkeit der Worte, sondern auch an dem Mädchen, dem er sich vom ersten Augenblick an verbunden gefühlt hatte.
    Vielleicht, weil er selbst seine Eltern früh verloren hatte und wusste, was es bedeutete, allein zu sein. Vielleicht, weil sie ihm auf eine rätselhafte Weise ähnlich war. Vielleicht aber auch, weil sie mit jenem Geheimnis verbunden schien, das zu ergründen er die weite Reise auf sich genommen hatte ...
    Das Kind - Sarah - unternahm einen Versuch, zu Polyphemos zurückzukehren und sich erneut an ihn zu klammern, was der Zyklop jedoch unterband. Daraufhin suchte das Mädchen bei Gardiner Zuflucht, klammerte sich an seine wollenen Beinkleider

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