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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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flüssig über die Lippen, und zumindest im Ansatz erfasste sie ihren Sinn. Den genauen Wortlaut zu transponieren blieb jedoch Friedrich Hingis überlassen, dessen Griechischkenntnisse noch um einiges fundierter waren. Mit effektheischender Stimme und sichtlich froh darüber, endlich auch etwas beitragen zu können, übersetzte er:
     
    Und so reiste ich weiter gen Norden
    und sah, was keines Menschen Auge je erblickt,
    begleitet vom rasenden Phoibos,
    der mir die Wahrheit offenbarte.
    Denn über den Bergen, den hohen,
    die nur des Vogels Flug übersteigt
    leben die Krieger, die Arimaspen,
    die das Geheimnis hüten.
    Gezeichnet mit dem einen Auge,
    das ruht inmitten ihrer Stirn,
    führen sie Krieg gegen jene,
    die Schatz und Gold begehren,
    auf den fernen Gipfeln,
    wo alles begann.
    Die Diener, die Arimaspen,
    im Zeichen des Einen Auges.
     
    »Das Eine Auge«, echote Sarah flüsternd, deren Pulsschlag sich unwillkürlich beschleunigt hatte. »Allem Anschein nach handelt der Text von den Zyklopen, denn es ist von Kriegern die Rede, die ›mit dem einen Auge‹ gezeichnet sind.«
    »Nun«, bemerkte Hingis trocken, »in Anbetracht der Tatsache, dass dir dieses Pergament von einem Einäugigen überreicht worden ist, würde ich sagen, dass diese Analyse zutreffend ist. Allerdings nennt der Text sie nicht ›Zyklopen‹, wie es die griechische Mythologie tut, sondern es ist von arimaspoi die Rede ...«
    »Wisst Ihr, wer diese arimaspoi sind, Meister?«, wandte sich Sarah fragend an el-Hakim.
    »Der Sage nach«, wusste der Alte zu berichten, »waren die Arimaspen ein Volk von mächtigen Kriegern.«
    »Ein ganzes Volk?«, hakte Sarah ungläubig nach.
    »So heißt es«, bestätigte Ammon. »Der Gedanke scheint dir nicht zu gefallen.«
    »Nun«, erwiderte Sarah, die in der Tat Unruhe verspürte, »Polyphemos behauptete zwar, dass seine Art einst stark und zahlreich gewesen wäre, aber ich tat das als Gerede ab - wohl deshalb, weil ich lieber an eine Laune der Natur glauben wollte als daran, dass es ein ganzes Volk von Einäugigen gibt ... oder gab.«
    »Du hast geglaubt, was du glauben wolltest«, rügte el-Hakim, »was dein Verstand zugelassen hat. Aber der Text sollte dich eines Besseren belehren. Wohl deshalb hat Polyphemos ihn dir übergegeben.«
    »Er wollte, dass ich etwas über seine Herkunft erfahre«, folgerte Sarah. »Aber wie hängt das mit der Zeichnung zusammen? Was haben die Arimaspen mit dem Berg Meru zu tun?«
    »Der Überlieferung zufolge«, erwiderte der alte Ammon, »war es die Bestimmung der Einäugigen, einen Berg aus Gold zu bewachen, der von mystischen Ungeheuern bedroht wurde.«
    »Ein Berg aus Gold?« Sarah horchte auf. »Heißt es nicht, dass auch der Meru aus purem Gold bestünde?«
    »Deines Vaters Scharfsinn spricht aus dir, mein Kind«, lobte der Weise anerkennend. »Die Vergangenheit kennt viele Rätsel - die Kunst besteht darin, sie ihr zu entlocken. So pflegte er stets zu sagen.«
    »Ich erinnere mich«, bestätigte Sarah mit wehmütigem Lächeln, während sie gleichzeitig einen Stich im Herzen fühlte.
    In die Grundsätze der Archäologie hatte der alte Gardiner sie eingeweiht - über so vieles andere jedoch hatte er sie im Unklaren gelassen. Bei ihrer letzten Begegnung mit el-Hakim hatte Sarah noch um ihren Vater getrauert. Inzwischen wusste sie nicht einmal mehr, ob Gardiner Kincaid überhaupt ihr Vater gewesen war. Sie erwog für einen kurzen Moment, den Weisen auch diesbezüglich ins Vertrauen zu ziehen und ihm von ihren Zweifeln zu berichten, entschied sich dann aber dagegen. Es gab Rätsel, die zu klären wesentlich dringlicher war.
    »Lenke deine Schritte dorthin, wo das Wissen von Jahrhunderten gesammelt ist«, riet Ammon ihr. »Meine bescheidenen Kenntnisse stoßen hier an ihre Grenzen. Ich habe euch gesagt, was ich weiß.«
    »Ihr habt uns mehr geholfen, als wir je zu hoffen wagten«, versicherte Sarah. »Nun haben wir etwas, womit wir arbeiten können. Wir werden eine Bibliothek aufsuchen und nach Hinweisen auf die Arimaspen suchen.«
    »Tut das, meine Kinder«, stimmte der Alte zu, »und wenn ihr sie findet, dann fragt und sucht weiter. Aber seht euch vor, wen ihr dabei ins Vertrauen zieht. Die Sterblichen sind schwach, und ein Berg aus Gold weckt manche Begehrlichkeit und lässt auch rechtschaffene Seelen zu Verrätern werden.«
    »Ich verstehe, Meister«, erwiderte Sarah beklommen. Schon einmal hatte sie der alte Ammon vor Verrat gewarnt - und damit recht behalten. Damals hatte

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