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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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während andernorts florierende Städte und blühende Landschaften entstanden waren, schien dieser Ort von der Zeit vergessen worden zu sein. Vielleicht, dachte Kamal, fühlte er sich deswegen hier so heimisch.
    An dem schmalen Fenster stehend, das im groben Mauerwerk klaffte und nach Südosten blickte, hing er seinen Gedanken nach, wie so oft, seit er aus seinem tiefen Fiebertraum erwacht war. Denn da war vieles, das keinen Sinn ergab. Gefühle, die keinen Ursprung hatten. Eindrücke, die sich nicht zuordnen ließen.
    Weshalb hatte ihn jenes rätselhafte Fieber befallen? Und wieso konnte er sich an nichts entsinnen, das vorher geschehen war? Weder erinnerte er sich an seinen Namen noch an das, was er zuvor getan hatte oder wer er gewesen war; zwar beherrschte er drei Sprachen und schien auch sonst allerhand Kenntnisse zu besitzen, was auf einen hohen Bildungsstand und eine begüterte Herkunft schließen ließ - jedoch hatte er keine Ahnung, wo, wann und auf welche Weise er zu diesem Wissen gelangt war. Was seine Identität betraf, seine persönlichen Erinnerungen, seine Empfindungen und Emotionen, kurz all das, was einen Menschen ausmachte, war er ebenso leer wie die Landschaft dort draußen. Er vermochte sich an nichts zu erinnern, was länger als vier Monate zurücklag; einhundertzwanzig Tage, die somit sein ganzes bisheriges Leben repräsentierten.
    Immer wieder versuchte er, sich zu konzentrieren, durchwühlte er die Trümmer seiner Erinnerung nach Antworten. Hatte er schon immer an diesem einsamen Ort gelebt? Woher kam er? Was hatte er zuvor getan? Hatte es überhaupt ein Leben vor dem Fieber gegeben?
    Aber sosehr er sich auch bemühte und so eifrig er nach Hinweisen suchte - er fand sie nicht.
    Nur in seinen Träumen hatte er das Gefühl, seiner Vergangenheit näher zu sein. Verschwommene Bilder huschten dann an ihm vorüber, in denen er etwas Vertrautes auszumachen glaubte; und er hörte Stimmen, die ihm bekannt vorkamen, so, als müsste er sich an sie erinnern ...
    Aber er tat es nicht.
    Waren diese Eindrücke wirklich? Stammten sie aus der Zeit, die vor der Dunkelheit lag? Waren sie ein Echo von dem, was er gesehen und erfahren hatte, ehe das Fieber über ihn hereingebrochen war?
    Kamal wusste es nicht zu sagen. Er war nur froh darüber, dass es jemanden gab, der ihm half, sich im Strudel all der Widersprüche und unbeantworteten Fragen zurechtzufinden, einem Leuchtfeuer gleich, das einem in Sturm geratenen Schiff die sichere Heimkehr ermöglichte.
    Sarah ...
    Allein der Klang ihres Namens brachte etwas in ihm zum Schwingen, wie die Saite eines Musikinstruments, die man angeschlagen hatte - die Melodie allerdings war ihm unbekannt. Weder konnte er sich entsinnen, wie er sie kennengelernt hatte, noch hätte er von sich aus zu sagen gewusst, wie lange sie schon zusammen waren. Wenn sein Gedächtnis jedoch nicht völlig leer war, sondern sich allmählich wieder füllte, so hatte er das in allererster Linie ihr zu verdanken. Sie war sein Leben spendender Quell in der Wüste, sein zuverlässiges Gedächtnis, wo seine eigene Erinnerung ihn im Stich ließ.
    Wäre sie nicht gewesen, hätte er vermutlich längst den Verstand verloren. Ihr aber gelang es immer wieder, ihn mit ihrer Liebe und Hingabe von seinen düsteren Gedanken abzubringen und ihm die Hoffnung zu geben, dass sich die Schleier des Vergessens irgendwann heben und er sich wieder würde erinnern können. Bis dahin blieb ihm nur, seiner Geliebten zu vertrauen - und Allah dafür zu danken, dass er ihm eine solche Gefährtin zur Seite gestellt hatte.
    Wenn Kamal sich ein Stück aus dem Fenster beugte, konnte er den Südturm erkennen, von dem aus die Wache den Taleingang im Auge behielt. Ihre Feinde, hatte Sarah ihm erklärt, waren ihnen auf der Spur. Allerdings weigerte sie sich beharrlich, ihm zu sagen, wer diese Feinde waren oder was sie von ihnen wollten. Kamal nahm an, dass sie die Absicht hatte, ihn zu schonen, bis er sich vollständig von den Strapazen des Fiebers erholt hatte. Auch dafür liebte er sie, auch wenn sich tief in seinem Inneren (und er schämte sich fast dafür) das hässliche Gefühl regte, in dieser Festung eingesperrt zu sein, die sich stolz und trutzig auf der Nordseite des Tals erhob.
    »Ein Königreich für deine Gedanken.«
    Lautlos war sie herangetreten, und nun umarmte sie ihn von hinten. Er fühlte ihren schlanken Körper, der sich an seinen presste. Wie er hatte auch sie sich in eine wollene Decke gehüllt, um sich vor der

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