Das Licht von Shambala
dich in deinem Bestreben, die Lande jenseits des Bosporus zu erkunden, nur bestärken dürfte«, vermutete der Alte.
»Das ist wahr«, stimmte Sarah zu, »insofern ändert Heinrichs These nichts. Interessant ist aber, wie er dazu gekommen ist: Er hat germanische mit griechischen und hellenistischen Quellen verglichen und dabei Übereinstimmungen gefunden.«
»Im Bezug worauf?«, wollte Ammon wissen.
»Auf einen Mythos, den offenbar all diese Kulturen gemeinsam haben - einen Wächtermythos, der in der einen oder anderen Form stets von einem Volk mächtiger Krieger handelt, das einen Schatz von sagenhaftem Wert hütet.«
»So wie die Arimaspen«, folgerte der Alte. »Dein Vater wäre stolz auf dich, mein Kind. Ist es nicht genau das, was er immer zu beweisen suchte? Dass sich hinter jedem Mythos ein wahrer Kern verbirgt?«
»Richtig«, bestätigte Sarah und hatte erneut das Bedürfnis, Ammon nach ihrer Herkunft zu fragen, aber sie gab ihm nicht nach.
»Und wo wirst du mit deiner Suche beginnen?«, fragte el-Hakim.
»Ich weiß es noch nicht.« Sarah schüttelte den Kopf. »Aristeas schreibt in seinem Gedicht, seine Suche nach den Arimaspen hätte ihn nach Norden geführt, was auf die Krim-Halbinsel schließen ließe. Die Sage von den Greifen und vom Vogel Roc hingegen könnte auch auf den Kaukasus hindeuten. Oder noch weiter nach Osten.« Sie seufzte hörbar. »Eigentlich hatte ich gehofft, dass Heinrichs Forschungen mir neuen Aufschluss geben würden, aber in dieser Hinsicht wurde ich leider enttäuscht, obwohl ich das Gefühl hatte ...«
»Ja?«, hakte der Weise nach, als sie plötzlich zögerte.
»Ich weiß nicht.« Sarah zuckte mit den Schultern, während sie das Buch zuschlug und über den leinenen Einband strich. »Dieses Buch erschien mir vielversprechend. Eigenartig vertraut, fast so, als hätte ich es schon einmal in meinen Händen gehalten. Aber ich entsinne mich nicht.«
»Vielleicht hast du es bei deinem Vater gesehen?«, hakte el-Hakim nach.
»Kaum. Sein Fachgebiet war die Altorientalistik. Warum hätte er sich mit den Skythen befassen sollen?«
»Naram«, echote der Alte. »Warum wohl?« Er überlegte kurz, dann sagte er: »Was du brauchst, ist ein weiterer Hinweis, nicht wahr?«
»Ja, Meister.«
»Könnte das Zeichen des Eroberers solch ein Zeichen sein?«
Sarah schickte Ammon einen überraschten Blick. In der gesamten persisch geprägten Welt genoss Alexander der Große bis in die Gegenwart hinein keinen besonders guten Ruf. Man vermied es, seinen Namen zu nennen und ließ auch sonst kaum ein gutes Haar an ihm. Wenn der Weise also schlicht vom »Eroberer« sprach, so war dennoch mehr als deutlich, wen er damit meinte.
»Durchaus«, bestätigte Sarah. »Schließlich sind wir im Lauf unserer Reisen des Öfteren auf das Alexandersiegel gestoßen, und wir wissen, dass auch der Eroberer unter dem Einfluss des Einen Auges gestanden hat. Dennoch dürfte es in diesem Zusammenhang äußerst unwahrscheinlich sein, dass wir auf seine Spuren treffen.«
»Weshalb?«
»Weil«, führte Sarah aus, »das Leben Alexanders durch seine Hofschreiber äußerst gut dokumentiert ist - und einmal abgesehen davon, dass es bei Arrian heißt, Alexander hätte einen Krieg gegen die Skythen zur Eroberung der Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres geplant, ist mir nicht bekannt, dass er seinen Fuß jemals dorthin gesetzt hätte, obwohl es dort mehrere griechische Kolonien gab.«
»Du kannst das also völlig ausschließen?« Der Tonfall des Alten wurde forsch und prüfend, was Sarah nicht gewohnt war.
»Nun - nein«, gab sie zu. »Völlig ausschließen lässt sich nach so langer Zeit natürlich nichts. Aber ich nehme an, Alexanders Chronisten hätten von einer solchen Reise berichtet, hätte er sie unternommen.«
»Und wenn er ihnen untersagt hätte, darüber zu schreiben?«
»Dann müsste sich in seiner Vita zumindest ein Zeitraum finden lassen, in dem er ...« Sarah stutzte plötzlich, als ihr ein Gedanke kam.
»Ja, mein Kind?«
»Angeblich«, erwiderte sie leise, »hat Alexander zu Beginn seines Persienfeldzugs mehrere Wochen lang an der westlichen Schwarzmeerküste auf die Schiffe gewartet, die sein Heer nach Osten bringen sollten. Womöglich hat er diese Unterbrechung genutzt, um ...«
»... um sich auf die Suche nach etwas zu machen, wovon er aus alten Sagen erfahren hatte«, fuhr el-Hakim fort.
»Glaubt Ihr das wirklich, Meister? Ihr denkt, schon Alexander hätte nach den Arimaspen gesucht?«
»Nein,
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