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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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schwächen, hatte Shaw sich freiwillig bereiterklärt, seine Abteilung auf die vorgeschobenen Posten zu verlegen, die dem Feindesgebiet unmittelbar gegenüberlagen. Für die Männer bedeutete dies nicht nur, in ermüdenden 24-Stunden-Schichten Wind und Wetter ausgesetzt zu sein, ohne über angemessene Kleidung und Ausrüstung zu verfügen, sondern auch einen ständigen Kampf gegen die eigene Erschöpfung. Wen Shaw und seine Offiziere während der Wache schlafend erwischten, der wurde ausgepeitscht, aber die Furcht vor Bestrafung reichte allmählich nicht mehr aus, um unter den ausgezehrten, frierenden und oftmals kranken Männern für Wachsamkeit zu sorgen. Und der grimmige Winter, der in den nächsten Wochen über die Krim hereinbrechen würde, hatte gerade erst begonnen ...
    Der Sergeant versuchte, nicht an diese Dinge zu denken, während er seinen Leuten vorausschlich. Eine Reihe karger Sträucher und verstreuter Felsen säumte den flachen Bergrücken, den das britische Kartenmaterial als »Inkerman Ridge« auswies und der sich in einem weiten Bogen nach Nordwesten erstreckte. Oberhalb davon befand sich der Shell Hill, auf der anderen Seite, weit im Norden, der Hafen Sewastopol, wo die russischen Kriegsschiffe vor Anker lagen und der Beschuss der türkischen Granaten den Nebel orangerot beleuchtete. Wenn ihr dumpfes Donnergrollen aussetzte, war erneut das Schnauben von Rössern zu vernehmen, nun auch begleitet von leisem Geklirr.
    »Wagen«, flüsterte Pitt. »Ich fürchte fast, Sie haben recht, Sergeant. Die bereiten da drüben etwas vor.«
    Der Sergeant nickte grimmig. Mit einem warnenden Blick gebot er seinen Untergebenen, auf der Hut zu sein, dann huschten sie weiter den Hang hinauf, wobei die Sichtverhältnisse gerade ausreichten, sich von einem Felsbrocken zum nächsten zu schleichen. Endlich ragten die schroffen Formen des Shell Hill schemenhaft vor ihnen auf. Der Sergeant legte den Finger auf die Lippen. Von hier an konnte jedes Wort, das sie sprachen, ihr letztes sein.
    Bemüht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen, pirschten sie sich noch ein Stück näher heran, die neuartigen Minie-Gewehre im Anschlag, die präziser waren und auch sehr viel mehr Durchschlagskraft besaßen als die alten 1842er Musketen. Den Soldaten allerdings wäre es lieber gewesen, die Kommandierenden hätten ebenso viel Wert auf eine anständige Bekleidung der Truppe gelegt wie auf deren Bewaffnung.
    Plötzlich konnten sie Stimmen hören.
    Gedämpfte Stimmen, die sich in einer fremden Sprache unterhielten.
    Russisch.
    Der Sergeant warf sich bäuchlings zu Boden, Webber und Pitt taten es ihm gleich. Unmittelbar vor ihnen, nur zehn oder fünfzehn Yards entfernt, befand sich eine feindliche Stellung!
    Die Soldaten dort unterhielten sich leise miteinander, und wäre nicht der dichte Nebel gewesen, wäre wohl schon ein Feuergefecht entbrannt. So jedoch blieb alles still, gespenstisch ruhig ...
    Der Sergeant warf einen Blick auf die Uhr, die er in der Tasche seines Uniformrocks stecken hatte. Achtzehn vor sechs. Bald würde die Dämmerung einsetzen.
    Er bedeutete seinen Untergebenen, zurückzubleiben, während er selbst noch ein Stück weiterschlich. Er musste wissen, ob es sich lediglich um einen vorgeschobenen Posten des Feindes handelte oder um die Vorhut einer größeren Streitmacht. Gut möglich, dass die Russen den Schutz der Dunkelheit und des in dieser Nacht besonders dichten Nebels genutzt hatten, um ...
    Ein eisig kalter Windstoß fegte plötzlich den Hang herauf, der in die Nebelschwaden blies und sie zerriss - und für einen kurzen Moment erheischte der Sergeant einen Blick auf den Feind.
    Er sah Dutzende von Gestalten, die beigefarbene Mäntel und schwarz-rote Mützen trugen, dazu einige Fuhrwerke, die offenbar mit Munition beladen waren. Noch bevor der Nebel wieder den Vorhang über die gespenstische Szenerie fallen ließ, war dem Sergeant klar, was dies bedeutete: Der befürchtete Gegenangriff, mit dem die Russen den Vormarsch der Alliierten auf Sewastopol stoppen wollten, stand bevor!
    Er wusste nun, was er hatte wissen wollen.
    Rasch machte er kehrt und schlich zurück zu den anderen, die unterhalb eines Felsvorsprungs auf ihn warteten. Als Pitt den besorgten Ausdruck im Gesicht seines Vorgesetzten sah, konnte er nicht anders, als das Schweigen zu brechen.
    »Verdammt, Sergeant«, zischte er, »Sie sehen aus, als ob ...«
    Weiter kam er nicht.
    Ein Schuss zerfetzte die Stille der Nacht, und im nächsten Augenblick

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