Das Licht von Shambala
ich nicht.«
»Sind Sie denn schon einmal mit dem Orient-Express gefahren?«
»Ich hatte das Vergnügen«, bestätigte der Schweizer.
»Ein außergewöhnliches Erlebnis, nicht wahr?«, begeisterte sich der Russe. »Schon in wenigen Jahren wird man in nur drei Tagen von Paris an den Bosporus reisen können, und das so sicher und komfortabel wie nie zuvor. Aber Sie sind nicht hier, weil Sie mit mir über die Segnungen des Fortschritts philosophieren möchten, oder?«
»Nein«, gestand der Schweizer offen.
»Einer meiner Vertreter bei der Hafenkommandantur hat mir berichtet, dass Sie dringend eine Schiffspassage nach Sewastopol benötigen. Entspricht das den Tatsachen?«
»Allerdings, Herr Abramowitsch«, bestätigte Hingis bereitwillig. »Das Problem ist, dass die osmanischen Behörden mich nicht ausreisen lassen möchten und die russische Botschaft mir keine Einreisegenehmigung erteilt ...«
»... solange sie keine Ausreiseerlaubnis erwirkt haben«, brachte Abramowitsch den Satz zu Ende und verdrehte die Augen. »Bürokraten, was soll ich sagen? Ein erfolgreicher Geschäftsmann wie ich hat unentwegt mit diesen cretins zu kämpfen. Mitunter könnte man fast glauben, sie hätten sich alle gemeinsam gegen den gesunden Menschenverstand verschworen.«
»Das ist richtig.« Hingis musste lachen. Die leutselige Art des Russen gefiel ihm. Ganz abgesehen davon, dass Abramowitsch seine Arbeit zu bewundern schien.
»Darf ich fragen, was für eine Art von Geschäften Sie auf die Krim führt?«, fragte der Russe. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn ich Ihnen helfen soll, sind die Gründe Ihrer Unternehmung für mich natürlich von einem gewissen Interesse.«
»Dafür habe ich durchaus Verständnis«, versicherte Hingis. »Es geht um ein Forschungsprojekt, eine geplante Ausgrabung, die vor Ort prospektiert werden soll.«
»Eine Ausgrabung? Tatsächlich?« Abramowitsch war sichtlich überrascht. »Offen gestanden, wusste ich gar nicht, dass es in jener Gegend antike Schätze zu heben gibt.«
»Das wäre wohl auch übertrieben«, wehrte der Schweizer ab. »Allerdings war das Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres einst das Land der Skythen, die, da sie keinerlei schriftliche Aufzeichnungen hinterlassen haben, bis heute eines der rätselhaftesten Völker der Antike darstellen. Auf der Krim könnte es jedoch noch Spuren von ihnen geben, und diesen möchte ich nachgehen.«
»Ich verstehe«, sagte Abramowitsch. »Also ist es wissenschaftliches Interesse, das Sie antreibt.«
»Allein und ausschließlich«, behauptete Hingis. Dass seine Brille dabei leicht beschlug, schien dem Russen nicht aufzufallen.
»Nun gut«, sagte Abramowitsch mit bedeutungsschwerer Stimme. »Da ich Sie für einen Mann von Ehre halte, Doktor, und ich zudem Ihre wissenschaftliche Arbeit schätze, sehe ich keinen Grund, an Ihren Angaben zu zweifeln. Ich möchte Ihnen daher einen Vorschlag machen.« Er griff in die Innentasche seines Rocks und beförderte ein metallenes Etui zutage, das er aufklappte. »Zigarre?«
»Gerne«, erwiderte Hingis, ließ sich eine Tabakstange geben und schnupperte daran. »Türkisch?«, fragte er.
»Afghanisch«, verbesserte der Russe. »Unsere osmanischen Freunde verstehen leider nicht allzu viel von den Vorzügen des ›Rauchtrinkens‹. Ihre nargile steht ihnen näher, wenn Sie wissen, was ich meine. Es hat sogar Sultane gegeben, die das Rauchen verboten haben. Können Sie sich das vorstellen?«
»Schwerlich.« Hingis paffte, als Abramowitsch ihm den Tabak ansteckte. Eine kurze Pause entstand, in der die beiden Männer an ihren Zigarren sogen, Rauchkringel in die Luft entließen und sich in einen Kokon aus blauem Dunst hüllten.
»Wie ich schon sagte«, kam Abramowitsch schließlich wieder auf das ursprüngliche Thema zurück, »habe ich Ihnen einen Vorschlag zu machen. Die ›Strela‹, ein Handelsschiff, das für mich fährt, läuft noch diese Woche aus. Über Varna und Odessa werden wir Sewastopol anlaufen, wo ich einige Geschäfte zu erledigen habe.«
»Tatsächlich?« Ein O-förmiger Rauchkringel wand sich aus Hingis' vor Staunen offen stehendem Mund.
»Allerdings - und ich möchte Ihnen anbieten, Sie mit an Bord zu nehmen. Ihre Probleme mit den osmanischen Behörden werden dadurch zwar nicht gelöst, aber zumindest auf russischer Seite werden Sie keine Schwierigkeiten haben, wenn ich für Sie bürge. Und über den Preis Ihrer Beförderung werden wir uns sicher einig.«
»Das ... das ist sehr freundlich
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