Das Licht von Shambala
von Ihnen«, sagte Hingis. »Ich weiß gar nicht, was ich erwidern soll«
»Sagen Sie einfach zu, das genügt«, meinte der Russe zwischen zwei Rauchschwaden von beträchtlicher Größe. »Das Schiff läuft in vier Tagen aus. Das sollte Ihnen Zeit genug geben, alle nötigen Vorbereitungen zu treffen.«
»Das ist wirklich großartig«, versicherte Hingis. »Ich fürchte nur, die Sache hat einen Haken.«
»Nämlich?«, wollte Abramowitsch wissen.
»Nun«, rückte der Eidgenosse ein wenig zögernd heraus, »Ihren Randbemerkungen konnte ich entnehmen, dass Sie auf Briten nicht gut zu sprechen sind. Aufgrund der politischen Gegnerschaft Ihrer Länder kann ich dies gut nachvollziehen, und ich darf Ihnen versichern, dass ich als Schweizer absolut neutral eingestellt bin. Meine Begleiterin auf dieser Forschungsreise jedoch ist - und ich scheue mich fast, dies offen auszusprechen - eine Tochter Sankt Georgs ...«
»Sie ist Britin?«
»Sozusagen.« Hingis setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.
»Um wen handelt es sich?«, erkundigte sich der Russe mit forschendem Blick. »Um Ihre Gattin? Ihre Verlobte? Ich darf Ihnen versichern, dass es in diesem Fall ...«
»Nein«, versicherte Hingis schnell, wobei er selbst nicht wusste, ob aus Erleichterung oder aus Bedauern, »nichts dergleichen. Lady Kincaid ist lediglich eine gute Freundin.«
»Lady Kincaid? Eine Adelige demnach?«
»Ihr Vater wurde von Königin Viktoria für seine Verdienste um das Empire in den Stand eines Barons erhoben«, erklärte Hingis.
»Verdienste um das Empire?« Abramowitsch sandte ihm einen geringschätzigen Blick zu. »Demnach ist er wohl ein Kriegsheld? Ein erfolgreicher Schlächter in königlichen Diensten?«
»Keineswegs. Lord Kincaid ist kein Mann des Krieges gewesen. Gleichwohl darf ich Ihnen versichern, dass er ein Held war - auch wenn seine Waffe der Verstand, sein Magazin die Bibliothek und sein Feld der Ehre die Archäologie gewesen ist.«
»Ich verstehe.« Abramowitsch nickte. »Sie sprechen von ihm in der Vergangenheit. Ich nehme also an, dass ...«
»Lord Kincaid ist tot«, bestätigte Hingis. »Er starb vor drei Jahren während eines Aufenthalts in Ägypten. Ich darf hinzufügen, dass ich im Zuge dieses Abenteuers auch meine Hand eingebüßt habe - und dass ich noch sehr viel mehr verloren hätte, wären Lord Kincaid und seine Tochter nicht gewesen.«
»Sie stehen Lady Kincaid also nah?«
»Ursprünglich waren wir Konkurrenten«, berichtete der Schweizer wahrheitsgemäß, »erbitterte Gegner. Aber im Lauf der Zeit haben wir wohl erkannt, was wir aneinander haben. Dieser gegenseitige Respekt ist die Grundlage unserer Freundschaft.«
»Nun«, machte der Russe und zog die Augenbrauen zu einem einzigen Strich zusammen, »ich muss zugeben, dass ich tatsächlich nicht sehr viel für Briten übrig habe. Ihr Snobismus und ihre anmaßende Art erregen meinen Unmut auf eine Art und Weise, die ich meiner Gesundheit als wenig zuträglich erachte. Aber wenn diese Lady Kincaid eine persönliche Freundin von Ihnen ist und Sie mit Ihrem guten Namen für sie bürgen ...«
»Das tue ich«, erklärte Hingis ohne Zögern.
»... so sehe ich keinen Grund, in ihrem Fall nicht eine Ausnahme zu machen«, fuhr Abramowitsch fort und rang sich ein Lächeln ab. »Ich will hoffen, ich werde es nicht bereuen.«
»Sicher nicht«, meinte Hingis überzeugt. »Lady Kincaid ist Archäologin wie ich.«
»Von welcher Universität?«
»Von keiner, wie ich zugeben muss - was allerdings weder fehlender Sachkenntnis noch mangelndem Eifer zuzuschreiben ist. Es ist nur so, dass die wissenschaftliche Welt von Angehörigen unseres Geschlechts dominiert wird, die ein gewisses Unverständnis dafür hegen, dass sich eine junge Frau mit anderen Dingen als Heim und Herd befasst.«
»Natürlich.« Ein hintergründiges Lächeln spielte um Abramowitschs Züge. »Da hat sich der britische Chauvinismus wohl gegen seinesgleichen gewandt.«
»So könnte man es ausdrücken. Allerdings ist Lady Kincaid in vielerlei Hinsicht keine typische Britin, wie Sie zweifellos feststellen werden. Obschon sie Patriotin ist, steht sie dem Kolonialismus kritisch gegenüber und stellt den britischen Anspruch auf Hegemonie offen in Frage. Sie können sich vorstellen, dass ihr das in ihrer Heimat nicht nur Sympathien eingetragen hat.«
»Und ob ich das kann«, versicherte der Russe. »Meine Bewunderung für Lady Kincaid wächst dafür von Minute zu Minute. Es dürfte interessant werden, sich
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