Das Licht von Shambala
gewaltig die Auswirkungen tatsächlich sind.«
»Jetzt verstehe ich Euch, Meister«, flüsterte Sarah. »Deshalb also denkt Ihr, dass auch Alexander schon nach dem Berg Meru gesucht hat.«
»Wie so viele andere nach ihm«, fügte der Weise hinzu, »aber keinem von ihnen gelang es, das Geheimnis zu entschlüsseln. Sie alle wühlten vergeblich in der Asche der Vergangenheit, genau wie später dein Vater.«
Sarah sog scharf die Luft ein. »Ihr denkt, auch Gardiner hat vom Berg Meru gewusst?«
»Allerdings, sonst wäre er wohl kaum Jahre später auf die Krim zurückgekehrt.«
»Er ist ein zweites Mal dort gewesen?«
»Naram«, bestätigte der Weise. »Zu diesem Zeitpunkt war der Blick des Einen Auges bereits auf ihn gefallen, und um den Preis wahrer Erkenntnis ist er ein Bündnis mit der Bruderschaft eingegangen. Selbst nachdem er ihre wahren Pläne durchschaut und sich von ihr losgesagt hatte, hat er niemals zu forschen aufgehört. Die Suche nach der Wahrheit hat ihn sein Leben lang beschäftigt, bis sie in Alexandrien ein jähes Ende fand.«
»Ja«, stimmte Sarah bitter zu, »und ich habe noch nicht einmal etwas davon geahnt. Woher wisst Ihr, dass er ein zweites Mal auf der Krim gewesen ist?«
»Weil er mich kurz vorher besucht hat.«
»Wann war das?«
»Im Monat Rabi-al-Achir des Jahres 1289«, entgegnete der Alte, als wäre es eben erst gewesen.
Rasch rechnete Sarah die Zeitangabe auf den christlichen Kalender um. »Der Sommer des Jahres 1872«, folgerte sie. »Zu dieser Zeit weilte ich in einem Mädcheninternat in London. Ich wollte nicht dorthin, aber Gardiner hat darauf bestanden. Allmählich verstehe ich, wieso.«
»Er hatte gute Gründe«, meinte Ammon überzeugt. »In jenem Sommer hat er mich in Kairo besucht. Er sagte mir, dass er mächtige Verbündete gefunden hätte, die ihm dabei helfen würden, die letzten großen Fragen der Menschheitsgeschichte zu klären. Ich warnte ihn, dass derlei Erkenntnisse mit einem hohen Preis einherzugehen pflegen, aber er wollte nichts davon hören. Stattdessen berichtete er mir, was ihm im Krimkrieg widerfahren war, und er stellte mir Fragen über den Eroberer und dessen Feldzug nach Osten.«
»Was ist dann geschehen?«, wollte Sarah wissen.
»Da meine Quellen ihm nicht weiterhelfen konnten, reiste er schon nach wenigen Tagen wieder ab und bestieg ein Schiff nach Konstantins Stadt. Damals wusste ich nicht, was er vorhatte. Wie ahnungslos ich gewesen bin!«
»Und hat er etwas gefunden?«
»Das weiß ich nicht, denn er hat nie wieder darüber gesprochen«, entgegnete der Alte, »weder zu mir noch zu dir.«
»Das mag nicht viel heißen«, knurrte Sarah ebenso wütend wie frustriert. »Gardiner hat mir auch früher schon Dinge verheimlicht - schließlich wusste ich lange nicht, dass auch er ein Mitglied der Bruderschaft gewesen ist.«
»Es ist offenkundig, warum er dir diese Dinge verschwiegen hat. Er wollte dich beschützen.«
»Mich?«, fragte Sarah mit leisem Spott. »Wovor? Vor der Bruderschaft?«
»La«, wehrte Ammon kopfschüttelnd ab, »vor dir selbst. Gardiner wollte nicht, dass du so wie er dem Einen Auge verfällst. Er kannte die Verlockungen nur zu gut.«
»Und deswegen hat er mich behandelt wie ein unmündiges Kind?« Sarah konnte ihren Zorn nicht länger verbergen. »Er hätte mich ebenso gut ins Vertrauen ziehen können, mir von seinen Erfahrungen und Befürchtungen erzählen. Stattdessen muss ich all dies erst nach seinem Tod erfahren.«
»Du bist verletzt«, stellte der Alte fest.
»Nicht doch.« Sie lachte bitter auf. »Wieso sollte ich? Weil mir langsam bewusst wird, dass ich den Mann, den ich Vater nannte, gar nicht wirklich kannte? Und weil das Wissen, dass er mir vorenthalten hat, mir von großem Nutzen hätte sein können? Aber nein! Es hat mir Freude gemacht, alles auf eigene Faust herausfinden zu müssen und meinen Feinden dabei stets einen Schritt hinterherzuhinken. Noch größer wäre meine Freude allerdings, hätte es nicht die Menschen, die ich liebe, das Leben gekostet!«
»Du denkst, du hättest Gardiners Tod verhindern können? Oder den von Maurice du Gard?«
Sarah biss sich auf die Unterlippe. »Hätte Gardiner mir all diese Dinge nicht verheimlicht, dann vielleicht«, bestätigte sie schließlich zögernd. »Wissen ist die stärkste aller Waffen, das hat er selbst mich gelehrt. Warum also ließ er mich wehrlos in den Kampf ziehen?«
»Ich denke nicht, dass er wollte, dass du kämpfst.«
»Hatte ich denn eine andere
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