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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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kurz oder lang in den Wahnsinn führte?
    Sarah hatte Menschen gesehen, die die Konfrontation mit dem Einen Auge mit ihrer geistigen Gesundheit bezahlt hatten. Die Französin Francine Recassin zum Beispiel, die aus Angst vor der Bruderschaft den Aufenthalt in der geschlossenen Anstalt von St. James einem Leben in Freiheit vorgezogen hatte; und in gewisser Weise auch Mortimer Laydon, dessen Hass und Bosheit seinen Verstand aufgefressen hatten. Sarah wollte nicht werden wie sie - oder war es bereits zu spät?
    Sarahs Überzeugung begann zu bröckeln. Gewiss, Abramowitsch schien das ein oder andere Geheimnis zu haben. Aber machte ihn das gleich zu einem Agenten der Bruderschaft?
    Hingis, der ihr Schweigen als Starrsinn deutete, schüttelte den Kopf. »Es hat wohl keinen Zweck«, sagte er leise. »Morgen werden wir Sewastopol erreichen. Dann ist es wieder dein Spiel, das wir spielen, nach deinen Regeln. Bisweilen habe ich den Eindruck, dass du es gar nicht mehr anders haben willst. Es ist dir zur Besessenheit geworden.«
    Er wartete noch einen Augenblick auf eine Antwort, aber sie schwieg weiter, schon deshalb, weil seine Worte sie wie Pfeile trafen. Daraufhin wünschte er ihr eine gute Nacht, wandte sich ab und schlug den Weg zu seiner Kabine ein.
    Sarah sah ihn gehen, und es schmerzte sie, weil sie das Gefühl hatte, dass etwas zwischen ihnen in diesem Augenblick zerbrach. Bislang hatte ihr einstiger Gegner ihr loyal und bedingungslos zur Seite gestanden - aber würde es auch in Zukunft noch so sein?
    Tränen traten ihr in die Augen, und sie holte Luft, um seinen Namen zu rufen, ihn aufzuhalten und ihm zu sagen, dass er mit allem recht hätte und sie eine Närrin gewesen sei.
    Aber es war nicht ihr Mund, aus dem in diesem Moment ein gellender Ruf drang.
    Es war der von Ufuk!
     
    Ammons junger Diener schrie so laut, dass sich seine Stimme überschlug. Wie vom Donner gerührt, blieb Hingis stehen und fuhr herum. Sein fragender Blick traf Sarah.
    »Was ...?«
    »Das kam vom Unterdeck«, entschied sie, und im nächsten Moment waren beide schon auf dem Weg zu der Treppe, die vom Promenadendeck hinabführte. Die Mannschaftsquartiere waren mittschiffs untergebracht, unmittelbar über den Maschinen, deren beständiges Zischen und Stampfen sie in den Schlaf wog und wieder daraus weckte. Schon von Weitem konnten Sarah und Hingis sehen, dass die Tür des Quartiers, das el-Hakim und der Junge gemeinsam bewohnten, weit offen war. Ufuk stand auf der Schwelle, leichenblass im Gesicht, und raufte sich das Haar.
    Sarah fühlte jähe Angst.
    Wo war el-Hakim? War dem Weisen etwas zugestoßen?
    Erinnerungen an eine andere Schifffahrt gingen ihr durch den Kopf. Auch damals hatte sie ein treuer Freund begleitet - und dafür mit dem Leben bezahlt ...
    »Nein!«, rief Sarah entsetzt, während sie so schnell rannte, wie das eng geschnittene Kleid und die geschnürten Lederstiefel es zuließen. Hingis war ihr bereits ein Stück voraus und langte noch vor ihr an der Kajüte an. Als er hineinschaute, sah auch er plötzlich aus, als hätte er ein Gespenst gesehen.
    Sarah hatte das Gefühl, als wollte ihr Pulsschlag aussetzen. Atemlos langte sie bei Hingis und Ufuk an, tauchte unter der niederen Tür hindurch in die Kabine -
    - und hielt verblüfft inne.
    Ihre Erleichterung, den alten Ammon lebend und wohlauf vorzufinden, schlug in Wut und Entsetzen um, als sie die Situation ganz erfasste. Inmitten der kleinen Kabine, in der es auf beiden Seiten eine schmale Koje gab, kauerte el-Hakim auf dem Boden. Die beiden Seekisten, die das Gepäck des Weisen enthielten, waren aufgebrochen worden, seine Habseligkeiten lagen rings auf dem Boden verstreut. Das meiste davon war zerstört, sodass der Alte in einem Meer der Zerstörung kauerte: Fetzen von Papyrus und Pergament, Glas- und Tonscherben, Talismane aus Speckstein, die unter Stiefelabsätzen zertreten worden waren.
    Für den Unwissenden, der die Bedeutung all dieser Gegenstände nicht kannte, mochte es kein großer Verlust sein. Für el-Hakim jedoch, das wusste Sarah in dem Moment, als sie in seine Züge blickte, waren nicht nur ein paar wertlose Gegenstände zerbrochen.
    Sondern seine ganze Welt ...
    Suchend tasteten seine Hände in dem Durcheinander umher, fassten jedoch nur mutwillige Zerstörung, während seine blicklosen Augen in Tränen schwammen.
    »Limatha?«, flüsterte er dabei immer wieder. »Warum nur ...?«
    Sarah betrat die Kammer, setzte sich, ungeachtet ihres noblen Seidenkleides, zu ihm

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