Das Licht von Shambala
Tätigkeiten unterstellen. Ich spreche davon, dass Sie ...«
»... dass ich eine Frau bin?«, ergänzte Sarah provozierend. »Darum geht es Ihnen doch im Grunde, nicht wahr? Meine Anwesenheit an Bord ist Ihnen von Beginn an ein Dorn im Auge gewesen.«
»Das ist nicht wahr«, wehrte Abramowitsch ab, und Hingis, der nervös auf seinem Stuhl hin und her gerutscht war, sah den Zeitpunkt gekommen, um einzugreifen.
»Bitte, meine Teure«, meinte er, an Sarah gewandt, »ich denke nicht, dass ...«
Aber Sarah ließ sich nicht aufhalten. »Nein?«, entgegnete sie auf Abramowitschs Behauptung. »Warum haben Sie dann vom ersten Abend an versucht, mich zu provozieren? Warum haben Sie mir Heiratsabsichten mit wohlhabenden Osmanen unterstellt und mir jegliche Fachkompetenz, die Archäologie betreffend, abgesprochen? Doch nur aus einem Grund: Weil Sie es nicht ertragen können, dass Ihre ach so männliche Domäne bedroht wird.«
Wütend erhob sie sich von ihrem Stuhl, worauf auch Hingis und Terzow aufstanden. Abramowitsch jedoch blieb sitzen.
»Menschen von Ihrer Sorte, Mr. Abramowitsch«, beschied ihm Sarah nicht auf Deutsch, sondern in ihrer Muttersprache, von der sie sicher war, dass er sie verstand, »habe ich auf der ganzen Welt kennengelernt, und sie öden mich an. Wenn Sie Ihren Patriotismus dazu missbrauchen müssen, Ihre Furcht vor dem so genannten schwächeren Geschlecht zu verbergen, so können Sie mir nur leidtun. Sollte diese Haltung alle Ihre Landsleute betreffen, so kann ich nicht umhin, die britische Kolonialexpansion für eine segensreiche Sache zu halten, solange sie nur mit einer Eindämmung des russischen Einflusses einhergeht. Gute Nacht.«
Ohne die Erwiderung des Russen abzuwarten, wandte sie sich ab und stürmte aus der Messe. Hinter sich hörte sie Hingis noch ein paar gestammelte Worte der Entschuldigung von sich geben, dann vernahm sie auch schon die zornig polternden Schritte des Schweizers hinter sich. Sie hatte das Promenadendeck noch nicht erreicht, als Hingis sie bereits einholte und zur Rede stellte. Die Haare standen ihm zu Berge, sein Gesicht war puterrot. So aufgebracht hatte sie ihn seit Alexandrien nicht mehr gesehen.
»Meine Teure, ich muss wirklich sagen!«, verschaffte er seiner Fassungslosigkeit Gehör. »Wie konntest du nur?«
»Was genau meinst du?«, erkundigte sich Sarah gelassen. Ihre eben noch zur Schau gestellte Wut war wie fortgeblasen.
»Ich verstehe dich nicht«, tobte der Schweizer weiter, aller Neutralität zum Trotz. »Wie kannst du nur solche Positionen vertreten? Wie unseren Gastgeber derart beleidigen, anstatt ihm dankbar zu sein für ...«
»Meine Dankbarkeit hält sich in engen Grenzen«, stellte Sarah klar. »Abramowitsch ist Geschäftsmann. Er hat sich jede Gefälligkeit, die er uns erwiesen hat, in klingender Münze bezahlen lassen.«
»Dennoch hat er uns sehr geholfen. Du jedoch hast dich ihm gegenüber wie eine Furie benommen. Was ist nur in dich gefahren? Fast könnte man meinen, dass die Ereignisse der letzten Zeit etwas zu viel für dich gewesen sind.«
»Das dürfte zutreffen«, gestand Sarah ungerührt.
»Als ich Viktor um Hilfe bat, bürgte ich mit meinem Namen dafür, dass du keine Britin üblichen Zuschnitts und zudem keine Verfechterin des Kolonialismus wärst. Und nun plötzlich stellst du Behauptungen auf, die selbst mich erröten lassen, obschon ich eurem ›großen Spiel‹ nicht den geringsten Reiz abgewinnen kann, was auch immer damit gemeint sein mag.«
»Beruhige dich, Friedrich ...«
»Ich soll mich beruhigen? Nachdem du dich selbst vergessen und uns vor Viktor unmöglich gemacht hast?«
»Mache ich auf dich den Eindruck einer Frau, die sich selbst vergessen hat?«, fragte Sarah seelenruhig dagegen.
»Nun«, kam er nicht umhin zuzugeben, »ich muss gestehen, deine Gefasstheit überrascht mich.«
»Das kommt daher, dass ich nicht wirklich wütend war«, erklärte sie flüsternd und mit einem Lächeln, das für einen kurzen Moment die alte Sarah durchblitzen ließ, die der arme Hingis so schmerzlich zu vermissen schien.
»D-du warst nicht ...?« Der Schweizer schaute sie verwundert an. »Aber wieso hast du ...?«
»Es ging mir darum, Abramowitsch abzulenken.«
»Wovon?«, ächzte Hingis.
»Von den Dingen, die ich eigentlich erfahren wollte.«
»Und nun hast du sie erfahren?«
»Teilweise.« Sarah wandte sich der Reling zu und schaute hinaus auf die See, in deren dunklem Wasser das Mondlicht glitzerte, während die Schaufelräder
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