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Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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ihren Gastgeber herauszufinden, würde sie nie erfahren, was genau sie in jener Nacht in Varna gesehen hatte.
    Wer also war Viktor Abramowitsch? Was war er? Womöglich ein feindlicher Spion?
    Behutsam aber beharrlich hatte sie das Gesprächsthema in die gewünschte Richtung gelenkt und Abramowitsch in eine Gemütsverfassung gebracht, die ihn seine Vorsicht vielleicht vergessen lassen würde. Nun war es Zeit für den nächsten Zug.
     
    »Herr Abramowitsch, darf ich Sie etwas fragen?«, meinte sie sanft, fast unterwürfig, ohne erkennbaren Triumph in der Stimme.
    »N-natürlich«, versicherte der Russe, der darüber nicht weniger überrascht zu sein schien als Hingis und Terzow.
    »Was halten Sie von der Idee des Panslawismus?«, erkundigte sich Sarah in vertraulichem Ton. »Wie stehen Sie zu der Ansicht, dass sich alle slawischen Völker unter der zaristischen Flagge versammeln sollten? Und ich frage Sie nicht nach Ihrer Einschätzung als Russe, sondern nach Ihrer persönlichen Meinung.«
    »Wie darf ich das verstehen?«
    »Nun, als loyaler Sohn des Zarenreichs kennen Sie natürlich Ihre patriotische Pflicht und setzen sich dafür ein«, erklärte Sarah. »Zumindest in meinem Land pflegen Realität und Anspruch bisweilen jedoch weit auseinander zu liegen, sodass man mitunter gezwungen ist, die Vorgaben der Politik - nun sagen wir - hintanzustellen, um das eigene Überleben zu sichern.«
    »Es tut mir leid.« Der Russe zuckte mit den Schultern. »Ich weiß immer noch nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    »Die Idee des Panslawismus, wie sie von führenden Denkern Ihres Landes propagiert wird, sieht vor, den Balkan komplett dem russischen Einfluss zu unterstellen.«
    »Und?«
    »Das würde aber wohl auch bedeuten, dass bestehende Grenzen abgeschafft und Zölle aufgehoben würden. Kaufleute aus Bulgarien oder der Walachei zum Beispiel könnten ihre Waren dann direkt nach Russland verkaufen, ohne auf Zwischenhändler wie Sie angewiesen zu sein. Damit wären Ihre Geschäftsinteressen unmittelbar betroffen, und Sie müssten auf andere Tätigkeitsfelder ausweichen.«
    »Als da wären?«, fragte Abramowitsch forsch.
    »Das weiß ich nicht.« Sarah lächelte. »Sie sind der Geschäftsmann, nicht ich.«
    Sie schaute dem Russen prüfend ins Gesicht, konnte jedoch nicht die leiseste Veränderung darin erkennen. Entweder war Abramowitsch sich tatsächlich keiner Schuld bewusst, oder er hatte gelernt, seine Empfindungen gut zu verbergen.
    »Was genau versuchen Sie mir hier zu unterstellen?«, erkundigte er sich. Dass seine Stimme plötzlich einen gefährlichen Tonfall angenommen hatte, bemerkte nicht nur Sarah, sondern auch Friedrich Hingis, der ihr einen warnenden Blick zuwarf. Offenbar war sie einen Schritt zu weit gegangen. Nun hieß es, vorsichtig zu sein ...
    »Aber Herr Abramowitsch«, sagte Sarah und lächelte abermals, »ist das denn nicht offensichtlich? Da mir Ihre Geschäfte mit dem Osmanischen Reich einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen scheinen, frage ich mich, ob Sie eventuell auch fernöstliche Absichten hegen.«
    »Natürlich.« Der Russe nickte. Wenn er erleichtert war, so war ihm auch das nicht anzusehen. In jedem Fall schien er Sarahs Ablenkungsmanöver nicht zu durchschauen, sondern im Gegenteil nur auf dieses Thema gewartet zu haben. »Früher oder später musste es ja zur Sprache kommen, nicht wahr?«, knurrte er. »Wie beliebt das britische Militär es doch gleich zu nennen? Ach ja - ›das große Spiel‹ ...«
    »Ich war stets der Ansicht, die Zeitungen hätten dieses Schlagwort geprägt«, wandte Sarah ein.
    »Daran sehen Sie, wie wenig Sie von Politik verstehen.«
    »Dafür verstehen Sie ganz offenbar umso mehr davon, Herr Abramowitsch«, konterte Sarah. Schlagartig war der Diskurs auf eine andere, persönliche Ebene gewechselt. Entsprechend alarmiert waren Friedrich Hingis' Blicke, die zwischen Sarah und Abramowitsch hin und her zuckten.
    »Ich habe dieses Thema bislang gemieden, weil ich Ihnen nicht zu nahe treten wollte«, gab der Russe bekannt. »Schließlich können Sie nichts für die Verbrechen, die Ihre Nation in jenen Erdteilen verübt. Aber angesichts Ihres Verhaltens scheint mir diese Zurückhaltung nicht länger angebracht.«
    »Meines Verhaltens?«, fragte Sarah. »Wovon sprechen Sie?«
    »Ich spreche davon, dass Passagiere, denen dazu noch eine Gefälligkeit erwiesen wurde, in meinem Land nicht die Stimme gegen den Eigner eines Schiffes erheben. Ich spreche davon, dass Sie mir kriminelle

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