Das Licht von Shambala
Sie der Einzige, der sich an meinem kleinen Täuschungsmanöver stört. Oder wie sehen Sie das, Messieurs?«
Die vom getönten Glas beschirmten Augen blickten in die Runde, ernteten jedoch nur beteuerndes Nicken.
»Alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir heute hier sind, Monsieur l'Allemagne«, stellte Lemont klar, »und alle werden angemessen dafür belohnt. Wenn Sie jedoch der Ansicht sind, dass Sie ungerecht behandelt oder gar betrogen wurden, so sollten wir das auf der Stelle klären. Alors?«
Seine Stimme hatte einen schneidenden Tonfall angenommen, der den Anwesenden durch Mark und Bein ging. Dazu nahm Lemont die Brille ab und durchbohrte den Aufrührer mit einem Blick, dessen Eiseskälte selbst der sengenden Wüstensonne zu trotzen schien. Ein endlos scheinender Moment verstrich, in dem der Deutsche seine Chancen und Möglichkeiten abwog - um offenbar zu einem eindeutigen Schluss zu gelangen ...
»Durchaus nicht«, versicherte er, und wie ein Hund, der für etwas gescholten wurde und sich hinter dem Ohr kratzt, um von seinem Vergehen abzulenken, begann er, seinen Schnurrbart zu zwirbeln. »Ich wollte nur sicherstellen, dass wir alle dasselbe wollen.«
»Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte Lemont, dessen Stimme erst ganz allmählich wieder an Schärfe verlor. »Wir alle wissen sehr genau, worauf wir uns eingelassen haben, n'est-ce pas? Ebenso, wie wir wissen, was wir gewinnen können.«
»Natürlich«, versicherte der Deutsche und senkte den Blick - und zum ersten Mal, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, spürte er am eigenen Leib, was grenzenlose Macht bedeutete. Auch wenn dies erst ein leiser Vorgeschmack war ...
»Und Sie, Großmeister?«, fragte l'Italie. »Wovon sprechen Sie?«
»Was nehmen Sie sich? Was bleibt Ihnen noch, wenn die Welt unter uns aufgeteilt wird?« Das Siegerlächeln kehrte auf Lemonts Züge zurück, während er die Brille wieder aufsetzte, sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und sich sichtlich entspannte. »Um mich brauchen Sie sich nicht zu sorgen, mon ami«, gab er lächelnd bekannt. »Mir bleibt immer noch der Rest der Welt mit allem, was sich dort befindet ...«
5.
R EISETAGEBUCH S ARAH K INCAID
Es ist erschreckend. Selbst dreißig Jahre nach dem Ende des Krimkriegs ist die Halbinsel noch immer gezeichnet von den blutigen Schlachten, die hier geschlagen wurden. Artilleriefeuer und Mörsergranaten haben nicht nur Sewastopol selbst zerstört, sondern auch das gesamte Umland umgepflügt, sodass ich unwillkürlich an das denken muss, was der von mir so geschätzte Mark Twain einst über diesen Landstrich schrieb: »In welche Richtung man hier auch schaut, fällt der Blick kaum auf etwas anderes als Zerstörung, Zerstörung und noch einmal Zerstörung! Ruinen, brüchige Mauern, zerrissene Hügel, in denen Krater klaffen, Verwüstung allerorten!« Und in seiner unvergleichlichen Art fügte der Schriftsteller hinzu, dass sich das antike Pompeji im Verglich zu Sewastopol noch in einem guten Zustand befände ...
Zwar wurde manches in den vergangenen zwei Jahrzehnten seit Twains Besuch wieder aufgebaut, und die Natur hat das ihre getan, um die Kraterlandschaft mit Moos und Buschwerk zu überdecken - darunter jedoch sind auch nach all der Zeit noch die Spuren des Krieges zu erkennen. Allenthalben stoßen wir bei unseren Grabungen auf Patronenhülsen und rostige Gewehrläufe und hin und wieder auch auf die zerschmetterten Überreste menschlicher Gebeine. Die Knochen tragen weder Farben noch Uniformen. Die Feuchtigkeit der Erde hat nicht nur ihr Fleisch verrotten lassen, sondern auch jeden Hinweis darauf, auf welcher Seite sie einst kämpften. Im Tode sind sie einander gleich geworden, und die Frage drängt sich auf, wieso sich der Mensch nur immer wieder zu dieser größten aller Torheiten hinreißen lässt, anstatt die wirklichen Feinde zu bekämpfen, welche die Welt bedrohen.
In diesem Niemandsland des Todes einen Hinweis auf die Arimaspen zu finden ist sehr viel schwieriger als gedacht, zumal das Gelände der Chersonnes ebenso wild wie unübersichtlich ist und von steilen Höhenzügen und jäh abfallenden Schluchten durchzogen wird. Unsere einzigen Anhaltspunkte sind Gardiner Kincaids mündliche Berichte, soweit el-Hakim sich an sie erinnert, und die Erinnerungen unseres Führers, der die Schrecken des Krieges als junger Mann erlebt hat und den sie seither verfolgen.
Zuhause in England wird der Kampf auf der Krim bis zum heutigen Tag als zwar schwer
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