Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
eine weißhaarige Frau ein.
»Mrs. Fripp, könnten Sie die kleine Grace mit nach draußen nehmen, während ich ein paar Worte mit ihrer Mutter spreche?«
Die Frau lächelte. »Komm, Kleines. Dann wollen wir doch mal schauen, ob wir einen Keks für dich finden«, sagte sie und führte das teilnahmslose Kind hinaus.
»Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich bin völlig ratlos. Sie hört nicht auf, nach …«, ihre Stimme stockte, »… nach Isabel Sherbourne zu fragen.«
»Was haben Sie ihr über sie erzählt?«
»Nichts. Ich habe geantwortet, dass ich ihre Mutter bin und sie liebe …«
»Nun, Sie müssen mit ihr über Mrs. Sherbourne sprechen.«
»Aber was soll ich sagen?«
»Ich schlage vor, Sie erklären ihr, sie und ihr Mann hätten verreisen müssen.«
»Verreisen? Wohin denn und warum?«
»Das spielt in diesem Alter eigentlich keine Rolle, solange sie eine Antwort auf ihre Frage hat. Irgendwann wird sie es vergessen … falls nichts in ihrem Umfeld sie an die Sherbournes erinnert. Sie wird sich an ihr neues Zuhause gewöhnen. Das habe ich bei adoptierten Waisen und in ähnlichen Fällen oft erlebt.«
»Aber sie gerät völlig außer sich. Ich möchte unbedingt das Beste für sie tun.«
»Ich fürchte, wo gehobelt wird, da fallen Späne, Mrs. Roennfeldt. Das Schicksal hat diesem kleinen Mädchen ziemlich übel mitgespielt, und dagegen sind Sie machtlos. Irgendwann wird die Erinnerung an die beiden verblassen, wenn sie keinen Kontakt zu ihnen hat. Bis es so weit ist, geben Sie ihr einen Tropfen von dem Schlaftrunk, wenn sie ängstlich oder unruhig ist. Das wird ihr nicht schaden.«
Kapitel 28
»Du bleibst von diesem Mann weg, verstanden?«
»Ich muss ihn besuchen, Ma. Er sitzt jetzt schon seit Ewigkeiten hinter schwedischen Gardinen, und das ist ganz allein meine Schuld!«, rief Bluey aus.
»Red keinen Unsinn. Du hast dafür gesorgt, dass eine Mutter ihr Baby wiederbekommt, und kannst dir bald dreitausend Guineen Belohnung abholen.« Mrs. Smart nahm das Bügeleisen vom Herd und fuhr bei jedem Satz fester damit über das Tischtuch. »Benutz deinen Verstand, Junge. Du hast deinen Teil beigetragen, und jetzt hältst du dich besser raus!«
»Er steckt in größeren Schwierigkeiten als die ersten Siedler, Ma. Ich denke, dass es übel für ihn ausgehen wird.«
»Das ist nicht deine Sache, mein Junge. Und jetzt raus mit dir in den Garten. Die Rosenbeete müssen gejätet werden.« Ohne nachzudenken, machte Bluey einen Schritt in Richtung Hintertür, als seine Mutter murmelte: »Ach, warum habe ich nur einen Dummkopf zum Sohn?«
Er blieb stehen und richtete sich zu ihrem Erstaunen zu voller Größe auf. »Gut, meinetwegen bin ich nicht der Hellste. Aber ich bin kein Verräter und auch keiner, der seine Freunde im Stich lässt.« Mit diesen Worten steuerte er auf die Vordertür zu.
»Wohin willst du, Jeremiah Smart?«
»Ich habe etwas zu erledigen, Ma!«
»Nur über meine Leiche!«, zischte sie und versperrte ihm den Weg.
Allerdings war sie nur gut eins fünfzig groß, während Bluey eins achtzig maß. »Tut mir leid«, sagte er, fasste seine Mutter um die Taille, hob sie so mühelos hoch wie ein Stück Sandelholz und stellte sie vorsichtig zur Seite. Als er zur Tür hinaus- und den Gartenweg entlangging, blickte sie ihm mit offenem Mund und blitzenden Augen nach.
Bluey ließ die Szene auf sich wirken. Die winzige Zelle, der Eimer in der Ecke, die Blechtasse auf dem am Boden festgeschraubten Tisch. In all den Jahren, die er Tom nun kannte, hatte er ihn nie unrasiert, mit ungekämmten Haaren und in einem zerknitterten Hemd gesehen. Nun hatte er große dunkle Augenringe, und die Wangenknochen ragten wie Klippen über seinen markanten Kiefer.
»Tom! Schön, dich zu sehen, Kumpel«, verkündete der Besucher, ein Satz, der sie beide an die Tage des Anlegens am Bootssteg und die langen Überfahrten erinnerte, in denen sie sich wirklich über ein Treffen gefreut hatten.
Bluey versuchte, Toms Gesicht zu betrachten, doch der Abstand zwischen den Gitterstäben war zu schmal, sodass ihm entweder Gesicht oder Stäbe vor den Augen verschwammen. »Wie läuft es so?«, brachte er nach einer Weile heraus.
»War schon mal besser.«
Bluey knetete den Hut in seiner Hand und nahm all seinen Mut zusammen. »Ich werde die Belohnung ablehnen, Kumpel«, sprudelte er hervor. »Es wäre nicht richtig.«
Tom blickte kurz zur Seite. »Ich habe mir doch gleich gedacht, dass es einen Grund gegeben haben muss,
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