Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
warum du die Polizei nicht zur Insel begleitet hast.« Er klang nicht zornig, sondern eher gleichgültig.
»Es tut mir leid! Ma hat mich überredet. Ich hätte nicht auf sie hören sollen. Das Geld fasse ich nicht mit der Kneifzange an.«
»Besser du kriegst es als irgendein anderer. Das spielt jetzt für mich keine Rolle mehr.«
Bluey hatte alles Mögliche von Tom erwartet, allerdings nicht diese Schicksalsergebenheit. »Was passiert jetzt?«
»Wenn ich das nur wüsste, Bluey.«
»Brauchst du etwas? Kann ich dir etwas besorgen?«
»Ein bisschen Himmel und Meer wären nett.«
»Das war mein Ernst.«
»Meiner auch.« Tom holte tief Luft und überlegte. »Da wäre etwas, das du tun könntest. Du könntest für mich nach Izzy schauen. Sie ist bei ihren Eltern. Nur um festzustellen, wie sie sich fühlt. Sicher geht es ihr sehr schlecht. Lucy war ihr ganzer Lebensinhalt.« Er hielt inne, da seine Stimme zu zittern begann. »Richte ihr aus, dass ich verstehe. Mehr nicht. Nur, dass ich verstehe, Bluey.«
Obwohl der junge Mann seinerseits kein Wort verstand, war dieser Auftrag für ihn eine heilige Mission. Er würde die Nachricht weitergeben, komme, was da wolle.
Nachdem Bluey fort war, legte Tom sich auf seine Pritsche und fragte sich wieder einmal, wie es Lucy wohl ergangen sein mochte und wie Isabel damit zurechtkam. Er grübelte darüber nach, ob er schon von Anfang an alles hätte anders machen sollen. Im nächsten Moment fielen ihm Ralphs Worte ein: »Es ist zwecklos, einen Krieg immer wieder zu kämpfen, bis man es endlich richtig hinkriegt.« Stattdessen suchte er Trost in Berechnungen: Er benutzte die Zimmerdecke als Hintergrund und positionierte die Sterne genau dort, wo sie in dieser Nacht stehen würden. Mit dem Sirius fing er an, der immer der hellste war; dann das Kreuz des Südens; anschließend die Planeten – Venus und Uranus –, alle am Himmel über der Insel deutlich zu sehen. Er folgte den Konstellationen, die von Abenddämmerung bis Morgengrauen über das Dach der Welt zogen. Die Präzision und die ruhige Ordnung der Sterne vermittelten ihm ein Freiheitsgefühl. Die Sterne hatten alles, was er jetzt durchmachte, irgendwo auf dieser Welt schon einmal gesehen. Und mit der Zeit würde sich ihr Gedächtnis über sein Leben legen, als heilten sie eine Wunde. Alles würde vergessen und alles Leid ausgelöscht sein. Im nächsten Moment jedoch dachte er an den Sternenatlas und Lucys Widmung: »Für immer und immer und immer und immer«, und der Schmerz der Gegenwart ergriff wieder Besitz von ihm. Er sprach ein Gebet für Lucy. »Behüte sie. Schenke ihr ein glückliches Leben. Mach, dass sie mich vergisst.« Und für Isabel, die in der Dunkelheit umherirrte, fügte er hinzu: »Bring sie nach Hause, damit sie sich selbst wiederfinden kann, bevor es zu spät ist.«
Bluey stand vor der Tür der Graysmarks, scharrte mit den Füßen und übte noch einmal lautlos seine Ansprache ein. Dann öffnete sich die Tür, und Violet beäugte ihn argwöhnisch.
»Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sie sich förmlich, wie um sich gegen eine neue Hiobsbotschaft abzuschotten.
»Guten Tag, Mrs. Graysmark.« Als sie nichts erwiderte, fuhr er fort. »Ich bin Bl … Jeremiah Smart.«
»Ich weiß, wer Sie sind.«
»Ich habe mich gefragt … glauben Sie, ich könnte kurz mit Mrs. Sherbourne reden?«
»Sie empfängt keinen Besuch.«
»Ich …« Er wollte sich schon geschlagen geben, als er sich an Toms Gesichtsausdruck erinnerte. »Ich werde sie nicht lange stören, ich möchte nur …«, beharrte er.
»Lass ihn rein, Ma«, wehte Isabels Stimme aus dem abgedunkelten Wohnzimmer hinaus.
Ihre Mutter verzog unwillig das Gesicht. »Also kommen Sie. Aber putzen Sie sich vorher die Füße ab.« Sie beobachtete seine Stiefel, während er sie gründlich an der Fußmatte abwischte, bevor er ihr ins Haus folgte.
»Schon gut, Ma, du brauchst nicht zu bleiben«, sagte Isabel, die in einem Sessel saß.
Isabel sieht genauso elend aus wie Tom, dachte Bluey: fahl und gebrochen. »Danke, dass du mit mir sprichst …« Seine Stimme erstarb. Die Krempe des Huts, den er mit den Händen umklammerte, wurde feucht. »Ich war bei Tom.«
Ihre Miene verfinsterte sich, und sie wandte sich ab.
»Es geht ihm wirklich sehr, sehr schlecht, Isabel.«
»Und er hat dich geschickt, damit du mir das erzählst, richtig?«
Bluey nestelte weiter an seinem Hut herum. »Nein. Ich soll dir etwas ausrichten.«
»Oh?«
»Ich soll dir
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