Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Wahrscheinlich findest Du das seltsam, aber es ist so. Ich fühle mich wohl in der Stille. Janus hat etwas Magisches an sich. So einen Ort habe ich noch nie erlebt.
Ich wünschte, Du könntest die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge hier sehen. Und die Sterne: Sie drängen sich nachts am Himmel, und zu beobachten, wie die Sternbilder dahinziehen, ist ein bisschen so, als schaue man auf die Uhr. Das Wissen, dass sie aufgehen werden, ganz gleich, wie scheußlich der Tag auch war und was alles nicht geklappt hat, ist beruhigend. Es hat mir in Frankreich geholfen, die Dinge ins richtige Licht zu rücken. Die Sterne gab es schon vor den Menschen. Sie schienen einfach immer weiter, egal, was auch geschah. Genauso ist für mich auch der Leuchtturm hier. Ich stelle ihn mir als Splitter eines Sterns vor, der auf die Erde gefallen ist: Er leuchtet, unabhängig von den Umständen – Sommer, Winter, Unwetter, Sonnenschein. Darauf kann sich der Mensch verlassen.
Ich höre jetzt besser auf, dummes Zeug zu schreiben. Der eigentliche Sinn und Zweck dieses Briefs ist, Dir eine kleine Schatulle mitzuschicken, die ich für Dich geschnitzt habe. Hoffentlich kannst Du sie gebrauchen. Du kannst ja Schmuck darin aufbewahren, oder Haarspangen und ähnlichen Krimskrams.
Wahrscheinlich hast Du es Dir inzwischen anders überlegt, und ich wollte Dir nur sagen, dass das in Ordnung geht. Du bist ein wundervolles Mädchen, und ich habe unsere gemeinsame Zeit genossen.
Morgen kommt das Schiff. Dann gebe ich den Brief Ralph mit.
Tom
Janus Rock,
15. Juni 1921
Liebe Isabel,
ich schreibe rasch noch diese Zeilen, denn die Jungs wollen ablegen. Ralph hat mir Deinen Brief gebracht. Es war schön, von Dir zu hören, und ich freue mich, dass Dir die Schatulle gefallen hat.
Danke für die Fotografie. Du siehst wunderschön aus, allerdings nicht so frech wie im wirklichen Leben. Ich weiß schon genau, wo im Laternenraum ich sie hinstelle, damit Du aus dem Fenster schauen kannst.
Nein, ich finde Deine Frage gar nicht seltsam. Wenn ich es mir genauer überlege, kannte ich im Krieg viele Kameraden, die während ihres dreitägigen Fronturlaubs in England geheiratet haben und dann zurückkamen, um weiterzukämpfen. Die meisten glaubten, dass sie nicht mehr lange unter den Lebenden weilen würden, und ihren Mädchen ging es genauso. Da ich Dir, mit ein wenig Glück, hingegen eine lange Zeit erhalten bleiben werde, denke gründlich darüber nach. Ich bin bereit, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, wenn Du es auch bist. Ich kann Ende Dezember Sonderurlaub beantragen, weshalb Du noch ein wenig Bedenkzeit hast. Ich hätte Verständnis dafür, wenn Du Deine Meinung änderst. Wenn nicht, verspreche ich Dir, dass ich für immer für Dich sorgen und mir die größte Mühe geben werde, Dir ein guter Ehemann zu sein.
Dein Tom
Die nächsten sechs Monate schleppten sich dahin. Da Tom bis jetzt keinen Grund zum Warten gehabt hatte, hatte er sich daran gewöhnt, die Tage als Selbstzweck zu betrachten. Nun aber war da ein Hochzeitsdatum. Vorbereitungen mussten getroffen und Anträge gestellt werden. In jeder freien Minute ging er in der Hütte hin und her und entdeckte wieder etwas, das reparaturbedürftig war: Das Küchenfenster schloss nicht richtig. Um den Wasserhahn aufzudrehen, musste man die Kraft eines Mannes haben. Was würde Isabel hier draußen brauchen? Dem letzten Schiff hatte er eine Einkaufsliste mitgegeben: Farbe, um die Zimmer zu verschönern, ein Spiegel für den Frisiertisch, neue Handtücher und Tischdecken, Noten für das altersschwache Klavier – er hatte es nie angerührt, wusste aber, dass Isabel gerne spielte. Nach kurzem Zögern wurden auch die Posten »neue Bettlaken, zwei Kopfkissen und eine Daunendecke« in die Liste aufgenommen.
Als das Schiff endlich erschien, um Tom für den großen Tag ans Festland zu bringen, marschierte Neville Whittnish den Bootssteg hinauf, um ihn während seiner Abwesenheit zu vertreten.
»Alles in Ordnung?«
»Hoffentlich«, entgegnete Tom.
»Sie wissen, wie man einen Leuchtturm führt, das muss ich Ihnen lassen«, verkündete Whittnish nach einer kurzen Inspektion.
»Danke«, erwiderte Tom, aufrichtig berührt von dem Kompliment.
»Sind Sie bereit, mein Junge?«, fragte Ralph, als sie sich anschickten, in See zu stechen.
»Das weiß nur der liebe Gott«, antwortete Tom.
»Ein wahreres Wort wurde nie gesprochen.« Ralph wandte sich zum Horizont. »Los geht’s, meine Schöne. Um unseren
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