Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
ich ernst gemeint.«
»Du musst vollkommen übergeschnappt sein, mich heiraten zu wollen, Izz. Ein Leuchtturmwärter verdient nicht viel, und seine Ehefrau hat kein einfaches Leben.«
»Ich weiß, was ich will, Tom.«
Er blieb stehen. »Pass auf, ich möchte ja nicht gönnerhaft klingen, Isabel, aber du bist, tja, du bist ein gutes Stück jünger als ich. Ich werde dieses Jahr achtundzwanzig. Außerdem wage ich zu vermuten, dass du noch nicht mit vielen Männern gegangen bist.« Nach ihrem ersten Kuss hätte er sogar jede Wette gewagt, dass er der erste war.
»Was hat das damit zu tun?«
»Dass … nun, du solltest die Sache an sich nicht mit dem ersten Mal verwechseln, wenn du ihr begegnest. Überleg es dir noch einmal. Ich verwette allen Tee in China, dass du mich in einem Jahr vergessen haben wirst.«
»Gib mir eine Chance«, sagte sie und küsste ihn noch einmal.
Kapitel 6
An klaren Sommertagen scheint Janus sich auf die Zehenspitzen zu stellen; man könnte schwören, dass die Insel manchmal höher aus dem Wasser ragt als sonst, und zwar nicht nur wegen der Gezeiten. Bei Unwettern kann sie völlig verschwinden, getarnt wie eine Göttin aus der griechischen Mythologie. Dann wieder bildet sich Nebel über dem Meer: warme, mit Salzkristallen geschwängerte Luft, die das Licht schluckt. Wenn es ein Buschfeuer gibt, kann der Rauch weit hinaus aufs Meer getrieben werden und bringt dicke, klebrige Asche mit, die den Sonnenuntergang üppig rotgolden verfärbt und die Verglasung des Laternenraums mit einer Schmutzschicht überzieht. Deshalb wird auf der Insel die allerhellste Lampe benötigt.
Von der Galerie aus betrachtet, erstreckt sich der Horizont sechzig Kilometer weit. Es erscheint Tom unfassbar, dass es so endlose Weiten geben kann, während in derselben Lebenszeit erst vor wenigen Jahren um jeden Zentimeter Boden gekämpft worden ist. Männer haben ihr Leben gelassen, nur damit man ein paar Meter Schlamm als »unser« anstelle von »ihrs« bezeichnen konnte – um sie am nächsten Tag wieder zu verlieren. Vielleicht war es dasselbe Beharren auf Besitzansprüche, das die Kartografen dazu veranlasst hat, diese Wasserfläche in zwei Ozeane aufzuteilen, obwohl es unmöglich festzulegen ist, wo genau die Strömung wechselt. Aufteilen. Benennungen finden. Unterschiede bestimmen. Einige Dinge ändern sich nie.
Auf Janus gibt es keinen Grund zu sprechen. Tom kann Monate dort verbringen, ohne seine eigene Stimme zu hören. Er weiß, dass manche Leuchtturmwärter regelmäßig singen, so wie man eine Maschine anlässt, um sich zu vergewissern, dass sie noch funktioniert. Doch Tom empfindet die Stille als befreiend. Er lauscht dem Wind und beobachtet die winzigen Feinheiten des Insellebens.
Hin und wieder kommt ihm Isabels Kuss in den Sinn, als hätte ein Lufthauch die Erinnerung herangetragen. Ihre Haut, ihr weicher Körper, und er denkt an die Jahre, in denen er sich so etwas nie hätte vorstellen können. Das Gefühl, einfach nur an ihrer Seite zu sein, sorgt dafür, dass er sich gereinigt und erfrischt fühlt. Und dennoch versetzt ihn diese Empfindung zurück in die Welt zerrissener Leiber und verrenkter Gliedmaßen. Der Sache einen Sinn zu verleihen, das ist die wahre Herausforderung. Dem Tod ins Auge geschaut zu haben, ohne an seinem Gewicht zu zerbrechen. Warum hat ausgerechnet er unverletzt überlebt? Plötzlich bemerkt Tom, dass er weint. Er weint um die Männer, die links und rechts von ihm dahingerafft wurden, während der Tod ihn verschmäht hat. Und er weint auch um die Männer, die durch seine Hand ihr Leben lassen mussten.
Im Leuchtturm wird jeder einzelne Tag dokumentiert. Man macht Einträge ins Protokollbuch, meldet, was geschehen ist, und erzeugt so Beweise dafür, dass die Welt sich weiterdreht. Als sich die Geister der Vergangenheit mit der Zeit in der klaren Janusluft auflösen, wagt Tom, an das Leben zu denken, das noch vor ihm liegt – etwas, das ihm jahrelang so unwahrscheinlich vorgekommen ist, dass er nicht darauf vertrauen konnte. In diesen Tagträumen spielt Isabel eine Rolle. Sie lacht trotz aller Widrigkeiten und ist unersättlich neugierig auf die Welt und für jeden Spaß zu haben. Mit Captain Haslucks Rat im Ohr geht er zum Holzschuppen, sucht ein Stück von der Wurzel eines Mallee-Eukalyptus aus und nimmt es mit in die Werkstatt.
Janus Rock,
15. März 1921
Liebe Isabel,
hoffentlich bist Du wohlauf, wenn Du diesen Brief erhältst. Mir geht es gut. Es gefällt mir hier.
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