Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
möchte die Dinge besser verstehen. Sie besser verstehen.« Nach kurzem Zögern fügte sie schüchtern hinzu. »Wenn ich nicht über die Vergangenheit sprechen darf, kann ich dann über die Zukunft reden?«
»Über die Zukunft kann man eigentlich nicht reden. Nur darüber, wie wir sie uns vorstellen und was wir uns wünschen. Das ist nicht dasselbe.«
»Gut, und was wünschen Sie sich?«
Tom hielt kurz inne. »Ein Leben. Ich glaube, das genügt mir.« Er holte tief Luft. »Und was ist mit Ihnen?«
»Oh, ich wünsche mir dauernd irgendetwas!«, rief sie aus. »Dass wir beim Picknick der Sonntagsschule schönes Wetter haben. Ich wünsche mir – nicht lachen – einen netten Ehemann und ein Haus voller Kinder. Das Geräusch, wenn ein Kricketball eine Fensterscheibe zerschlägt, und dass es in der Küche nach Eintopf riecht. Die Mädchen singen zusammen Weihnachtslieder, und die Jungen spielen Fußball. Ich kann mir ein Leben ohne Kinder nicht vorstellen. Und Sie?« Einen Moment schien sie ins Träumen zu geraten und fügte dann hinzu: »Natürlich nicht jetzt sofort.« Sie zögerte. »Nicht wie Sarah.«
»Wer?«
»Meine Freundin Sarah Porter. Sie hat in meiner Straße gewohnt. Wir haben oft zusammen Familie gespielt. Sie war ein bisschen älter als ich und hat mich immer bemuttert.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Sie ist … in andere Umstände gekommen – mit sechzehn. Ihre Eltern haben sie nach Perth geschickt, damit es niemand sieht, und sie gezwungen, das Baby ins Waisenhaus zu geben. Sie sagten, es solle adoptiert werden, aber es hatte einen Klumpfuß.
Später hat sie dann geheiratet, und das Baby geriet in Vergessenheit. Und dann, eines Tages, hat sie mich gebeten, mit ihr heimlich nach Perth zu fahren, um das Waisenhaus zu besuchen. Das ›Kinderasyl‹ war nur ein paar Türen vom Irrenhaus entfernt. Oh, Tom, so etwas Schlimmes wie einen Saal voller mutterloser kleiner Kinder haben Sie noch nie gesehen. Und niemand, der sie lieb hatte. Sarah durfte ihrem Mann kein Sterbenswörtchen verraten. Er hätte sie sofort vor die Tür gesetzt und ahnt bis heute nichts. Ihr Baby war noch da, aber sie konnte nichts weiter tun, als es anzuschauen. Das Seltsame ist, dass ich diejenige war, die nicht zu weinen aufhören konnte. Der Ausdruck auf den kleinen Gesichtern ist mir wirklich nahegegangen. Wer ein Kind ins Waisenhaus steckt, kann es genauso gut zur Hölle schicken.«
»Ein Kind braucht seine Mum«, stimmte Tom zu und musste an seine eigene denken.
»Sarah lebt inzwischen in Sydney. Ich habe sie aus den Augen verloren«, fügte Isabel hinzu.
Während der beiden Wochen sahen Tom und Isabel sich jeden Tag. Als Bill Graysmark seiner Frau vorwarf, diese ständigen Ausflüge zu zweit gehörten sich nicht, entgegnete sie: »Oh, Bill, das Leben ist so kurz. Sie ist ein vernünftiges Mädchen und weiß, was sie will. Außerdem wird sie es in diesen Zeiten schwer haben, überhaupt einen Mann zu finden, der noch alle Gliedmaßen hat. Einem geschenkten Gaul …« Außerdem wusste sie, wie klein Partageuse war. Es gab keine Möglichkeit, irgendwelche unschicklichen Dinge zu treiben, ohne dass Dutzende von Augen und Ohren es bemerkten und beim kleinsten Anzeichen von Unmoral Meldung machten.
Tom war überrascht, wie sehr er sich auf diese Treffen mit Isabel freute. Es war ihr unbemerkt gelungen, seine Abwehr zu durchbrechen. Er hatte Spaß an ihren Anekdoten aus Partageuse und den Erläuterungen zur Geschichte der Stadt. So hatten die Franzosen diesen Flecken Erde zwischen den Ozeanen genannt, da das Wort sowohl »großzügig teilend« als auch »trennend« bedeutete. Sie erzählte ihm, wie sie von einem Baum gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte. Und eines Tages hatten sie und ihre Brüder Mrs. Mewetts Ziege mit roten Punkten bemalt und dann bei ihr angeklopft, um zu melden, das Tier hätte die Masern. Sie berichtete ihm leise und stockend, ihre Brüder seien beide an der Somme gefallen, und sie wünsche sich so sehr, ihre Eltern wieder lächeln zu sehen.
Allerdings war Tom die Sache auch nicht ganz geheuer. Die Stadt war klein, und Isabel war einige Jahre jünger als er. Wahrscheinlich würde er sie nie wiedersehen, wenn er zum Leuchtturm zurückkehrte. Andere Männer hätten die Situation vielleicht ausgenützt, doch für Tom waren seine moralischen Prinzipien eine Art Heilmittel gegen seine Erlebnisse.
Isabel selbst fand nicht die richtigen Worte, um dieses neue Gefühl zu beschreiben – Aufregung
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