Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Wintersachen ein paar geblümte Kleider – leicht zu waschen und strapazierfähig, wenn sie ihren neuen Pflichten nachgeht, die Hühner füttert, die Ziegen melkt, Gemüse erntet und die Küche putzt. Auf ihren Wanderungen rings um die Insel mit Tom trägt sie eine alte Hose von ihm, die sie fast einen halben Meter hochkrempeln und mit einem rissigen Ledergürtel zusammenhalten muss, und dazu eines seiner kragenlosen Hemden. Da sie gern den Boden unter ihren Füßen spürt, geht sie barfuß, sooft sie kann. Doch auf den Klippen trägt sie die Turnschuhe, um ihre Fußsohlen vor dem schartigen Granit zu schützen. So erkundet sie die Grenzen ihrer neuen Welt.
Eines Morgens, kurz nach ihrer Ankunft, beschloss sie, ein wenig berauscht von der Freiheit hier, ein Experiment zu wagen. »Was hältst du von der neuen Mode?«, fragte sie Tom, als sie ihm mittags im Evaskostüm ein belegtes Brot in den Wachraum brachte. »An einem so schönen Tag brauche ich keine Kleider.«
Er zog eine Augenbraue hoch und bedachte sie mit einem schiefen Lächeln. »Sehr hübsch. Aber du wirst bald genug davon haben, Izz.« Er nahm das Brot entgegen und streichelte ihr Kinn. »Man muss einige Dinge beachten, wenn man auf einer Leuchtturminsel überleben und nicht den Verstand verlieren will, Liebling: regelmäßige Mahlzeiten, jeden Tag den Kalender umblättern …« Er lachte auf. »Und seine Sachen anbehalten. Glaube mir, Schatz.«
Errötend trat sie den Rückzug an und schlüpfte in mehrere Kleiderschichten – Unterhemd, Unterrock, Kleid und Strickjacke. Dann stieg sie in ihre Gummistiefel und fing an, im grellen Sonnenschein mit übertriebenem Krafteinsatz Kartoffeln auszugraben.
»Hast du eine Karte von der Insel?«, wollte Isabel von Tom wissen.
Er schmunzelte. »Hast du Angst, dich zu verirren? Du bist jetzt doch schon seit einigen Wochen hier! Wenn du immer in die entgegengesetzte Richtung zum Wasser gehst, bist du irgendwann zu Hause. Der Leuchtturm ist sicher auch eine Orientierungshilfe.«
»Ich möchte einfach nur eine Karte. Gibt es eine?«
»Natürlich. Von dem gesamten Gebiet hier existieren Karten, wenn du dich dafür interessierst. Ich kann mir nur nicht vorstellen, was du damit anfangen willst. Du kannst hier nirgendwo hin.«
»Tu mir einfach den Gefallen, mein lieber Mann«, antwortete sie und küsste ihn auf die Wange.
Später am Vormittag erschien Tom mit einer großen Rolle in der Küche und hielt sie Isabel gespielt feierlich hin. »Ihr Wunsch ist mir Befehl, Mrs. Sherbourne.«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte sie im selben Tonfall. »Das wäre alles. Sie dürfen sich jetzt entfernen, Sir.«
Ein Lächeln spielte um Toms Lippen, und er kratzte sich am Kinn. »Was führst du im Schilde, junge Frau?«
»Das geht dich nichts an!«
In den nächsten Tagen brach Isabel jeden Tag zu kleinen Expeditionen auf und schloss nachmittags die Schlafzimmertür, obwohl Tom weit weg und mit seiner Arbeit beschäftigt war.
Nachdem sie eines Abends das Geschirr abgetrocknet hatte, holte sie die Rolle und überreichte sie Tom. »Das ist für dich.«
»Danke, Liebling«, sagte Tom, der gerade ein eselsohriges Buch über das Knüpfen von Knoten las. »Ich lege sie morgen wieder zurück.«
»Aber sie ist für dich .«
Tom blickte auf. »Das ist doch die Karte, oder?«
Sie grinste ihn spitzbübisch an. »Das weißt du erst, wenn du hinschaust, richtig?«
Tom entrollte die Karte und stellte fest, dass die Karte sich verändert hatte. Sie war überall mit kleinen Anmerkungen, farbigen Skizzen und Pfeilen versehen. Sein erster Gedanke war, dass es sich bei der Karte um staatliches Eigentum handelte und dass man ihm bei der nächsten Kontrolle die Leviten lesen würde. Außerdem waren neue Namen darauf verzeichnet.
»Und?« Isabel lächelte. »Ich fand es einfach falsch, dass Orte keinen Namen haben. Also habe ich sie getauft, siehst du?«
Buchten, Klippen, Felsen und Wiesen waren mit winzigen Buchstaben beschriftet und trugen nun wie das Paradiesbecken Namen: Stürmische Ecke, Gefährlicher Felsen, Schiffbruchstrand, Ruhebucht, Toms Aussichtspunkt, Izzys Klippe und noch viele mehr.
»Wahrscheinlich habe ich sie nie als verschiedene Örtlichkeiten empfunden. Für mich ist das Ganze einfach nur Janus«, antwortete Tom und schmunzelte.
»Sie sind alle völlig unterschiedlich. Jeder Ort hat einen Namen verdient wie die Zimmer in einem Haus.«
Tom betrachtete auch das Haus nicht wirklich als eine Ansammlung von Zimmern. Er
Weitere Kostenlose Bücher