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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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in ihren Erinnerungen, als sich jemand räusperte. Es war Ralph, der hinter Bluey in der Tür stand.
    »Nicht aufhören!«, sagte Bluey, als sie sich umdrehte, um die beiden zu begrüßen.
    »Es tut mir leid, dass ich vorhin so unhöflich war!«, entschuldigte sie sich und wollte aufstehen.
    »Kein Problem«, erwiderte Ralph. »Und das hier ist von Hilda«, fügte er hinzu und förderte einen mit einer roten Schleife verschnürten Gegenstand hinter seinem Rücken zutage.
    »Oh, soll ich es gleich aufmachen?«
    »Das musst du sogar. Wenn ich ihr nicht in allen Einzelheiten schildere, ob es dir gefallen hat, wird sie mir das nie verzeihen!«
    Isabel entfernte das Einwickelpapier und hatte die Goldbergvariationen von Bach in der Hand.
    »Tom glaubt, dass du solche Sachen mit geschlossenen Augen spielen kannst.«
    »Ich habe schon jahrelang nicht mehr gespielt. Aber, oh, ich liebe diese Stücke! Vielen Dank!« Sie fiel Ralph um den Hals und küsste ihn auf die Wange. »Und dir auch, Bluey«, fügte sie hinzu. Diesmal traf der Kuss versehentlich seinen Mund, weil er gerade den Kopf bewegte.
    Er lief feuerrot an und blickte zu Boden. »Ich hatte nicht viel damit zu tun«, antwortete er, doch Tom widersprach. »Glaub ihm kein Wort. Er ist bis nach Albany gefahren, um den Klavierstimmer abzuholen, und hat gestern den ganzen Tag dafür gebraucht.«
    »In diesem Fall kriegst du noch einen Kuss«, verkündete sie und küsste ihn auf die andere Wange.
    »Und Sie auch!«, wandte sie sich an den Klavierstimmer und küsste ihn ebenfalls.
    Als Tom an jenem Abend die Leuchte überprüfte, wurde er dabei von Bach begleitet. Die wohlgesetzten Töne wehten die Treppen des Leuchtturms hinauf, hallten im Laternenraum wider und schwebten zwischen den Prismen umher. Isabel war ein Geheimnis wie das Quecksilber, das das Licht zum Kreisen brachte. Es konnte heilen oder vergiften, das ganze Gewicht der Leuchte tragen, aber ihr Licht auch in Tausende nicht zu fassende Teilchen brechen und es in alle Richtungen streuen, sodass es sich selbst entfloh. Er trat hinaus auf die Galerie. Als die Lichter der Windward Spirit am Horizont verschwanden, sprach er ein lautloses Gebet für Isabel und ihr gemeinsames Leben. Dann wandte er sich dem Protokollbuch zu und schrieb in die Rubrik »Bemerkungen« für Mittwoch, den 13. September 1922: »Besuch per Versorgungsschiff: Archie Pollock, Klavierstimmer. Vorherige Genehmigung eingeholt.«

TEIL II

Kapitel 10
    27. April 1926
    Isabels Lippen waren bleich, und sie hatte den Blick gesenkt. Noch immer legte sie sich manchmal die Hand auf den Bauch, bis seine flache Form sie daran erinnerte, dass er leer war. Ihre Blusen wiesen hin und wieder weiterhin Flecken von der Muttermilch auf, die in den ersten Wochen so reichlich geflossen war. Ein Festmahl für einen nie erschienenen Gast. Dann brach sie wieder in Tränen aus, als hätte sie es gerade erst erfahren.
    Isabel stand da, die Bettwäsche in der Hand: Die Hausarbeit hörte niemals auf, so wie der Leuchtturm niemals innehielt. Nachdem sie das Bett gemacht und ihr gefaltetes Nachthemd unter das Kissen gelegt hatte, ging sie hinauf zur Klippe, um eine Weile bei den Gräbern zu sitzen. Das neue pflegte sie sehr gewissenhaft und fragte sich, ob der junge Rosmarin wohl gedeihen würde. Sie zupfte ein paar Unkräuter rings um die beiden älteren Kreuze aus, die nun, einige Jahre später, von einer Salzschicht überzogen waren. Der Rosmarin wuchs trotz der Stürme tapfer weiter.
    Als der Wind Babygeschrei herantrug, wanderte ihr Blick instinktiv zu dem neuen Grab. Bevor die Vernunft sich zu Wort meldete, glaubte sie fast, es sei alles nur ein Irrtum gewesen, und ihr letztes Kind sei nicht zu früh und tot geboren worden, sondern lebte und atmete.
    Die Sinnestäuschung endete, doch das Weinen dauerte an. Im nächsten Moment ertönte Toms Ruf von der Galerie: »Izzy!« rief er. »Ein Boot!« Er wies auf die Bucht. »Am Strand ist ein Boot!« So schnell sie konnte, folgte sie ihm zu der Jolle.
    Der Mann darin war tot, doch Tom hob ein schreiendes Bündel aus dem Bug.
    »Du heiliger Strohsack!«, rief er aus. »Mein Gott, Izzy. Es ist …«
    »Ein Baby! Oh, mein Gott! Oh, Tom, Tom! Hier, gib es mir!«
    Zurück in der Hütte krampfte sich Isabels Bauch beim Anblick des Babys zusammen. Ihre Arme wussten instinktiv, wie man es hielt, wiegte und beruhigte. Als sie das kleine Mädchen mit warmem Wasser wusch, fiel ihr auf, wie frisch, straff, weich und absolut faltenfrei

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