Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
ordentlichen Hügel flach geklopft hatte, hielt er inne, um ein kurzes Gebet für den bedauernswerten Fremden zu sprechen. Allerdings ertappte er sich dabei, dass er stattdessen flüsterte: »Vergib mir, Herr, für diese und alle meine Sünden. Und vergib Isabel. Du weißt, dass sie ein guter Mensch ist und dass sie viel gelitten hat. Vergib uns beiden. Sei gnädig.« Er bekreuzigte sich und kehrte zurück zum Boot, um es ins Wasser zu schleppen. Als er ihm einen Schubs versetzte, brach sich das Sonnenlicht funkelnd in einem Gegenstand. Er spähte in die Jolle. Etwas Glänzendes war unter den Sparren des Bugs eingeklemmt, sodass er es zunächst nicht freibekam. Nach einigem Zerren hatte er schließlich ein kaltes, hartes Objekt in der Hand, das klappernd zum Leben erwachte: eine silberne Rassel mit eingravierten Putten und Monogramm.
Er drehte sie hin und her, als erwarte er, dass sie mit ihm sprechen und ihm irgendeinen Hinweis geben würde. Dann steckte er die Rassel ein: eine Erklärung für die Ankunft dieses seltsamen Paars auf der Insel. Er wusste, er würde nachts nur schlafen können, wenn er sich Izzys Version der Dinge zu eigen machte, nämlich, dass das Kind eine Waise war. Etwas anderes durfte er gar nicht erst denken, weshalb er vor allem, was das Gegenteil hätte belegen können, die Augen verschließen musste. Er richtete den Blick auf die Linie, wo der Ozean auf den Himmel traf wie ein geschürztes Lippenpaar. Es war besser, ahnungslos zu bleiben.
Tom vergewisserte sich, dass die südliche Strömung das Boot ergriffen hatte, und watete zurück an den Strand. Er war froh, dass der salzige Gestank des faulenden Seetangs auf den Felsen den Geruch des Todes aus seinen Nasenlöchern vertrieb. Eine winzige Sandkrabbe huschte unter einem Sims hervor, krabbelte rasch zu einem verendeten Kugelfisch hinüber, der selbst im Tod aufgeblasen und stachelig war, und begann, mit den Scheren winzige Stückchen des Fischbauchs in ihr Maul zu befördern. Erschaudernd machte Tom sich auf den Weg den steilen Pfad hinauf.
»An den meisten Tagen gibt es hier kein Entrinnen vor dem Wind. Das stört nicht weiter, wenn man eine Möwe oder ein Albatros ist. Man braucht sich nur anzuschauen, wie sie mit den Luftströmungen treiben, als ruhten sie sich aus.« Tom saß auf der Veranda und deutete auf einen großen silbrigen Vogel, der von einer anderen Insel hierhergelangt war und trotz der bewegten Luft an einem Faden in einem reglosen Himmel zu schweben schien.
Das Baby achtete nicht auf Toms Finger, sondern sah ihm, gebannt von der Bewegung seiner Lippen und dem Vibrieren in seiner Brust, in die Augen. Dann jauchzte es, ein hohes Geräusch, das an Schluckauf erinnerte. Tom versuchte zu ignorieren, dass sein Herz darauf einen Satz machte, und fuhr mit seinen Erläuterungen fort. »Aber diese kleine Bucht da ist der einzige Ort, wo man vielleicht ein bisschen Ruhe hat, weil sie nach Norden zeigt und der Wind fast nie von Norden kommt. Auf dieser Seite befindet sich der Indische Ozean – angenehm ruhig und warm. Auf der anderen Seite ist das Südpolarmeer – wild und sehr gefährlich. Von dem sollte man sich fernhalten.«
Anstelle einer Antwort zog das Kind einen Arm unter der Decke hervor, und Tom ließ es zu, dass sich sein Händchen um seinen Zeigefinger schloss. In der Woche seit der Ankunft des Babys hatte er sich an das Gurgeln und seine still schlafende Anwesenheit in der Wiege gewöhnt, die durch das Haus zu wehen schien wie der Geruch nach frischem Brot oder Blumen. Es bereitete ihm Sorge, dass er angefangen hatte, morgens die Ohren zu spitzen, ob die Kleine schon wach war, und sie, ohne nachzudenken, aus der Wiege nahm, wenn sie weinte.
»Du verliebst dich in sie, richtig?«, meinte Isabel, die ihn von der Tür aus beobachtet hatte. Als Tom die Stirn runzelte, fügte sie hinzu. »Sie ist unwiderstehlich.«
»All ihre kleinen Gesten …«
»Du wirst ein Dad sein wie aus dem Bilderbuch.«
Er rutschte in seinem Sessel herum. »Izz, es ist trotzdem falsch, es nicht zu melden.«
»Schau sie dir doch nur an. Sieht sie aus, als ob wir etwas falsch gemacht hätten?«
»Aber genau das ist es ja. Wir brauchen nichts falsch zu machen. Wir könnten sie jetzt melden und die Adoption beantragen. Es ist noch nicht zu spät, Izz. Wir könnten es noch in Ordnung bringen.«
»Adoption?« Isabel erstarrte. »Niemals würden sie ein Baby auf eine abgelegene Leuchtturminsel schicken: kein Arzt, keine Schule. Keine Kirche ,
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